Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Rasterpsychotherapie

Rasterpsychotherapie

Unter dem Begriff „Rasterpsychotherapie“ verbirgt sich eine geplante Änderung im Gesetzentwurf des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG). Der Gesetzentwurf hätte eigentlich bereits in der letzten Woche im Gesundheitsausschuss beraten werden sollen, die Beratung wurde verschoben, eine Expert*innenanhörung ist geplant.

Die Regierungsfraktionen schlagen in ihrem Änderungsantrag (GVWG-Änderungsantrags 49) vor, folgenden Satz ins Sozialgesetzbuch (§ 92 SGB V) aufzunehmen: „Der Gemeinsame Bundesausschuss prüft bis zum 31. Dezember 2022 unter Berücksichtigung der Versorgung nach Absatz 6b, wie die Versorgung von psychisch kranken Versicherten bedarfsgerecht und schweregradorientiert sichergestellt werden kann.“ Im Änderungsantragsentwurf wird im Begründungsteil ausgeführt, dass auch die Psychotherapielinie entsprechend angepasst werden könnte, offiziell um die „bedarfsgerechte Versorgung psychisch kranker Versicherter sicherzustellen und weiterzuentwickeln“. Gemeint ist hiermit, abhängig von Diagnosen und Schweregraden Stundenkontingente einzuführen. Da jedoch das Ziel des BMG ist, Psychotherapie ökonomisch effizienter machen ist nicht mit einer Aufstockung der Stunden zu rechnen.

Mehr Therapieplätze auf Kosten des Patientenwohls?

Die Überlegung, dass so kürzere Wartezeiten und somit neue Therapieplätze geschaffen werden ist fatal. Viele Menschen, die vielleicht gerade erst anfangen, über ein erlebtes Trauma zu sprechen verlieren den Anspruch auf eine qualitativ gute und vor allem funktionierende Versorgungsleistung. Ein Therapieabbruch aufgrund von einer effizienteren Reform führt schlussendlich nicht zur früheren Wiedereingliederung der Menschen, sondern viel mehr zu höheren Kosten etwa längerer Berufsunfähigkeit, Entstehung psychosomatischer Beschwerden und Chronifizierung, was eine Heilung verkompliziert anstatt sie zu vereinfachen. Ein langfristig heilender oder zumindest stabilisierender Prozess verkäme eher zu einem kurzen Management von mehr psychischem Leid.

 

 

Vernachlässigung des intraindividuellen Leidensdruck

Eine Therapie nach Raster, beschneidet nicht nur Therapeutinnen und Therapeuten in Ihrer Arbeit. Sie nimmt den Menschen, welche auf eine adäquate Versorgung hoffen und einen Anspruch nach dem Patientenrechtegesetz haben die Chance einer differenzierten Diagnose über die Zeit. Den intraindividuellen Unterschied des Leidens, welches sich hinter der gleichen Diagnose verbergen können, wird ebenso wenig Rechnung getragen wie häufig auftretenden komorbiden Störungen.

 

Bei all der Vielfalt an verschiedenen Lebenssituationen und Ressourcen der Patientinnen und Patienten scheint eine rein nach einem Raster bestimmte Therapie nicht erfolgsversprechend. Es wird kaum einen Fall geben, der genau in das Schema passt. Eine Vorgabe auf dem Papier wie eine entsprechende Störung sich in jedem Fall verhalten wird widerspricht außerdem fundamental der ganzheitlichen Betrachtung psychischer Störungen.

 

Der Umfang von Psychotherapie ist jetzt schon durch die Psychotherapierichtlinie begrenzt und das Antragsverfahren bei der Krankenkasse aufwendig. Würde durch „Stundenrationierung“ anhand eines Diagnoserasters, dieses nochmals beschränkt kann dies kaum mehr mit dem Patientenwohl zu vereinbaren sein.

 

Ist eine Raster-Psychotherapie zeitgemäß?

Während einerseits die Vielfalt stark vorangetrieben wird, beispielsweise Entwürfe und Konzepte zum Umgang mit Gender-Diversität vorliegen, sollen dann andererseits die Hilfe suchenden Menschen in verschiedene Diagnose-Klassen gesteckt werden ohne Rücksicht auf Individualität und Ganzheitlichkeit?    Unter bestimmten Umständen könnte es sinnvoll sein, Diagnosen bei der Kontingent-Bestimmung zu berücksichtigen. Wenn beispielsweise für bestimmte Diagnosen generell das Antragsgeschehen erleichtert würde oder ein Puffer entstünde, auf den ohne lange Wartezeiten bei schweren Störungen oder Verläufen zurückgegriffen werden könnte. Wäre dies nicht eher das echte schweregradorientierte und bedarfsgerechte Handeln?

 

Fazit

Der Ansatz der Rasterpsychotherapie ist weder zeitgemäß noch angemessen und damit abzulehnen. Darüber hinaus ist zu verurteilen, dass hier wiederholt versucht wird, mithilfe von kurzfristigen Änderungsanträgen und ohne Rücksprache mit der Profession derartige Änderungsanträge in Form von Omnibusgesetzen überhaupt eingebracht werden. Dass es nun doch eine Anhörung im Gesundheitsausschuss geben soll, liegt nicht an der Weitsicht der Politik sondern am Aufschrei aus der Bevölkerung, die hier glücklicherweise nicht zuletzt im Rahmen einer von Betroffenen initiierten Petition von ihren demokratischen Möglichkeiten Gebrauch macht. Auch zahlreiche Verbände und Organisationen liefen Sturm, neben der Bundespsychotherapeutenkammer und vielen anderen veröffentlichte auch der BDP eine Pressemitteilung und beteiligte sich an der Social Media Debatte.