Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Corona-Krise: Älteren Menschen helfen

In dem 10. Erfahrungsbericht aus der Serie „Erfahrungen von Psychotherapeut*innen während der Coronakrise“ der Bundespsychotherapeutenkamme (BPtK) stellt Professorin für Gerontopsychologie Eva-Marie Kessler fest: „Alter ist kein Kriterium für Rationierung!“ Beatmungsgeräte, Schutzausrüstung, Kontaktmöglichkeiten und Psychotherapie dürften nicht nur den Jüngeren vorbehalten sein. Sie fordere daher, dass insbesondere Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten jetzt in besonderem Maße zeigen müssen, dass sie für gefährdete Personengruppen wie ältere Menschen da sind. Hier stellt sich jedoch die Frage, wie dies geschehen könne.

Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) warnt vor zu schnellen Lockerungen der Kontaktbeschränkungen während der Corona-Krise, da Unbedachtsamkeit zur Gefährdung älterer Menschen führen könnte. Gleichzeitig sehe DGG-Präsident Professor Hans Jürgen Heppner auch alle schwierigen Aspekte der Kontaktbeschränkung und Isolation, die unbestritten negative Folgen auf das seelische und körperliche Wohlbefinden hätten: „Wir wissen alle, wie sehr Familien, und besonders Großeltern, darunter leiden, einander nicht treffen zu können. Aber lassen Sie es langsam angehen, damit wir nicht Gefahr laufen, dass Beschränkungen wieder eingeführt werden müssen.“ Abstand und den Besuch kurz halten sei bei gesundheitlich fitten älteren Personen sei daher die Devise. In Fällen chronischer, die Lunge betreffenden Erkrankungen oder schwer einstellbaren Diabetes sei dagegen weiterhin größte Vorsicht geboten: Hier sollte der Besuch nach Heppner besser vermieden werden. Von Übernachtungsbesuchen rät er derzeit gänzlich ab.

In einer gemeinsamen Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und ‑psychotherapie (DGGPP) und des Deutschen Berufsverbandes für Altenpflege (DBVA) fordern diese, die RKI-Empfehlungen für Heime sofort umsetzen und sehen die Politik in der Pflicht, den Nachschub an Mundschutz und Desinfektionsmittel für Heime sicherzustellen. In Alteneinrichtungen und Heimen komme es inzwischen vermehrt zu Infektionen. Professor Michael Rapp, Präsident der DGGPP, warnt vor dem sprunghaften Anstieg der Sterblichkeit, insbesondere bei der Gruppe der besonders vulnerablen Demenzkranken. „Der sichere Normalbetrieb unter Beachtung der RKI Empfehlungen mit ausreichendem Personal ist für die Menschen in den Heimen jetzt essenziell. Es kann nicht darum gehen, alle Heime zu schließen und die alten Menschen weiter in eine krankmachende Isolation zu bringen“, so Prof. Michael Rapp. „Vor diesem Hintergrund sollten auch Therapeuten und Ärzte weiter in die Heime kommen können - unter geeignetem Schutz für die Bewohner.“
Die DGGPP warnt weiterhin in einer anderen Pressemitteilung vor Isolation und Einsamkeit und empfiehlt dahingehend: „Gerade jetzt alleinlebenden Älteren einmal täglich ‚Hallo‘ sagen“ Dies könne zum Schutz vor Infektion auch ein Anruf, ein Zettel unter der Tür, eine Postkarte oder ein Ständchen vor dem Fenster sein, so Dr. Stefan Kreisel, Vorstandsmitglied der DGGPP. Achtung bei E-Mails, Messenger-Dienste und Co, da diese nicht von allen bedient werden könnten.

Auch als Behandlungsmöglichkeit wurde die Videotelefonie kritisiert. Die Telemedizin sei insbesondere für die Gruppe der Älteren entzaubert worden, da diese die Technik häufig nicht bedienen könnten und „Videosprechstunden im Vergleich zum Arzt-Patienten-Kontakt in der Praxis oft doppelt so viel Zeit kosten, um zu einem vernünftigen Beratungsergebnis zu kommen“ so der Vorsitzende der Freie Ärzteschaft (FÄ) Wieland Dietrich.

Die Arbeitsgemeinschaft Pneumologische Altersmedizin der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) hat in ihrer Covid-19-Stellungnahme auch für die Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Gerontopsychotherapie relevante Empfehlungen herausgebracht:

„Empfehlung Nr. 1
Wegen der Komorbiditäten muss ganz besonders bei geriatrischen Patienten differenziert werden, ob die Symptome durch Sars-CoV-2 oder eine andere Erkrankung bedingt sind.

Empfehlung Nr. 2
Wegen der Dynamik der Erkrankung sollten Patienten mit Covid-19 primär durch einen Pneumologen behandelt werden. Die Weiterverlegung in die Geriatrie und Behandlung durch einen Geriater oder andere Fachabteilungen solle erst sekundär erfolgen.

[…]

Empfehlung Nr. 7
Weglaufgefährdete geriatrische Covid-19 Patienten sollen auf Isolierstationen nicht fixiert oder medikamentös ruhig gestellt werden. Nach Möglichkeit sind geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Patienten am Weglaufen aus dem Isolierbereich in würdiger Form zu hindern.“

Eva-Marie Kessler schlägt vor, die Coping-Strategien der Älteren, die unter Umständen gut mit Isolation umgehen könnten zu nutzen, aber auch mögliche (Kriegs-) Retraumatisierungen mit zu bedenken. Auf Infektionsängste und Ängste, allein zu sterben sollte besonders eingegangen werden. Auch Kessler sehe die Videotelefonie in vielen Fällen als nicht durchführbar an und fordere daher mehr Hausbesuche bei Älteren durch Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen. „Ältere Menschen sind schon normalerweise psychotherapeutisch ausgesprochen schlecht versorgt“, kritisiert Psychotherapeutin Eva-Marie Kessler. „Bei den Über-75-Jährigen mit einer depressiven Erkrankung erhält nicht einmal ein Prozent eine ambulante Psychotherapie.“ Hierzu müsste aktuell verständlicherweise Schutzausrüstung bereitgestellt werden. Eine Alternative könnte die Telefonberatung und -behandlung darstellen. Diese wiederum sind aktuell noch sehr eingeschränkt möglich. Neupatienten und -patientinnen gehen leer aus und 20 Telefonate à 10 Minuten im Vierteljahr reichten bei Weitem nicht aus, zudem bei dieser Patientengruppe noch Absprachen mit Angehörigen, Pflegediensten und Hausärzten und Hausärztinnen hinzukämen. „In der Not müssen wir vor allem individuelle Lösungen finden, wie wir älteren Menschen weiter helfen können“, erklärt Kessler. „Und dafür brauchen wir – noch mehr als sonst – Zeit!“

Generelle Informationen, Empfehlungen und Tipps zur Gesundheitsförderung und Prävention für ältere Menschen gibt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG).