Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

BPtK-Qualitätssicherungskonferenz am 09.09.2020

Die Veranstaltung zum Thema Qualität und Qualitätssicherung aus Sicht der Profession hätte eigentlich bereits im März stattfinden sollen und wurde nun am 09.09.2020 virtuell nachgeholt. Es nahmen rund 50 Personen aus verschiedenen Verbänden Teil.  
Dr. Dietrich Munz (Präsident der BPtK) führte in das Thema ein und betonte, dass Qualitäts­sicherung in der Psychotherapie seit 1999 genuines Kammerthema sei. Diese Aufgabe sei durch das Patientenrechtegesetz nochmal gestärkt worden. 
Prof. Dr. Martin Stellpflug (Justiziar) der BPtK wurde noch deutlicher und betonte, dass es „eigentlich systemwidrig“ sei, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kranken­kas­sen hier so viel Einfluss bekommen. Gemeint ist damit die Beauftragung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Entwicklung eines Qualitätssicherungssystems als Alternative zum Gutachterverfahren. Diese wurde im Endspurt des Psychotherapeuten-Ausbildungs-Reform­ge­setzes (PsychThGAusbRefG) kurz vor Beschlussfassung und ohne Rücksprache mit der Profession hinzugefügt und im letzten Jahr vom Bundestag beschlossen. „Wir haben viel Terrain verloren. Wir hätten Vorschläge machen sollen um die Hoheit zu behalten.“

Rechtlicher Rahmen der Dokumentation
Prof. Stellpflug fasst in seinem Vortrag die rechtlichen Grundlagen für die Dokumentation einer psychotherapeutischen Behandlung zusammen. Qualitätssicherung sei lange haupt­sächlich über Qualifikations­kontrolle erfolgt (vgl. §135 SGB V). Für die Dokumentation gelten sowohl berufs- und haftungsrechtliche als auch sozialrechtliche Regelwerke (siehe Kasten).
Über die Dokumentation soll Therapiesicherheit erreicht werden, es müsse so klar und viel dokumentiert werden, dass die Behandlung nachvollziehbar ist und theoretisch von einem anderen Behandler oder einer anderen Behandlerin weitergeführt werden können. Es gebe mehrere Urteile, die Therapeutinnen und Therapeuten widersprechen, die sagten, sie hätten alles im Kopf. Dokumentation müsse dem Bedürfnis der Patientinnen und Patienten nach Rechenschaftslegung Genüge tun, also eine Überprüfung ermöglichen, ob der/die Aufzeichnende lege artis therapiert hat. Schließlich diene die Dokumentation zur Beweissicherung: Wenn die oder der Behandelnde durch fehlende Dokumentation die sonst möglichen Beweise nicht gesichert hat, wird die Patientin bzw. der Patient aus der  haftungs­rechtlichen Beweislast entlassen. (à Beweislastumkehr). Die  gute Nachricht: Bei ordnungs­gemäßer Dokumentation wird dieser bis zum Beweis des Gegenteils Glauben geschenkt. Schließlich soll die Dokumentation insofern der Qualitätssicherung dienen, als dass sie die Behandelnden in die Lage versetzt, selbst anhand der Dokumentation die Qualität zu sichern.
Im sozialrechtlichen Kontext neben der Tatsache, dass Verstöße zu Zulassungsentziehungen führen können, grundsätzlich: Ist nicht ordentlich dokumentiert, besteht kein Anspruch auf Vergütung. Spezifische Dokumentationspflichten sind jetzt bereits im EBM, weitere werden erwartet als formelle Voraussetzung für die Vergütung.

Rechtliche Regelungen bzgl. Dokumentation in der Psychotherapie

  • §630f BGB: Die Dokumentation muss zeitnah erfolgen, Änderungen nachvollziehbar sein, es müssen „sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und zukünftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen“, insbesondere die Anamnese, Diagnose, Untersuchungen, Untersuchungs­ergebnisse und Befunde, die Dokumentation muss 10 Jahre aufbewahrt werden, wer die Pflicht verletzt, macht sich schadensersatzpflichtig, auch wenn daraus kein Behandlungsfehler resultiert! (dazu gebe es diverse Gerichtliche Entscheidungen)
  • In den Heilberufegesetzen der Länder  gibt es ebenfalls entsprechende Regelungen, z.B. „Die Kammerangehörigen, die ihren Beruf ausüben, haben insbesondere die Pflicht […] über in Ausübung ihres Berufs gemachte Feststellungen und getroffene Maßnahmen Aufzeichnungen zu fertigen […]“ (§30 HeibergG NRW)
  • Die Ausführungen in der Musterberufsordnung sind an die im BGB und Patienten­rechte­gesetz angelehnt (vgl. §9 MBO)
  • Wirtschaftlichkeitsgebot (§§2 Abs. 1, 12 Abs 1, 70 Abs. 1, 92 Abs. 1, 106 SGB V) und die Qualität der Leistungserbringung (§§ 2, Abs. 1, 135ff SGB V)
  • §§ 294 ff SGB V regelt die Übermittlung und Aufbereitung von  Leistungsdaten sowie Datentransparenz
  • Regelungen im untergesetzlichen Vertragsarztrecht gem. § 295 Abs. 3 SGB V (bspw. §57 BMV-Ä,  § 7 Qualitätsprüfungsrichtlinie), greift im wesentlichen Aspekte BGB auf

Qualitätssicherung aus Sicht der Psychotherapiepraxis
Prof. Svenja Taubner (Universität Heidelberg) äußerte sich in ihrem Vortrag zur Qualität aus psychodynamischer Sicht zu den verschiedenen Ebenen der Qualitätssicherung. Bei Gutachterverfahren habe vor allem Sicherung der Prozessqualität zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit stattgefunden. Es sei dabei zu indirekten Qualitätseffekten gekommen, hänge eine individuelle explizite Fallplanung positiv mit einem verbesserten Outcome zusammen. Sie stellte das Dosis-Wirkungs-Modell grundsätzlich in Frage und präsentierte ein alternatives Modell (Good-enough-level-Modell), bei dem die Wirkung die Dosis bestimmt. Sie betonte, dass verschiedene Indikations- und Verlängerungskriterien relevant seien, eine strukturierte Erfassung halte sie für möglich, die Last hierfür sollte aber nicht den einzelnen Behandlerinnen und Behandlern zufallen.
Prof. Frank Jacobi (Psychologische Hochschule Berlin) reflektierte Qualitätssicherung aus verhaltens­therapeutischer Sicht. Er brachte dabei das Spannungs­feld zwischen Therapie-Optimierung vs. Legitimation zur Sprache und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Psycho­therapie bereits umfassend geregelt sind. Viele relevante Aspekte könnten systema­tisch erfasst werden, wichtig sei aber, dass Daten auch interpretiert werden müssten. Eine Qualitätssteigerung durch das Gutachterverfahren sei aus seiner Sicht nicht hinreichend belegt. Außerdem stellt er in Frage: „Warum soll etwas genehmigungspflichtig sein, was wir können?“. Als geeignete Instrumente für eine systematische Reflektion der Therapie gäbe es ausgehend von der Expertise-Forschung bereits eine Reihe bereits in der Berufsordnung verankerter Instrumente (z.B. Fallkonzeption, Fortbildungspflicht), weitere spezifische Möglichkeiten seien beispielsweise Supervision, Videoanalysen oder der Einsatz von Therapie-Monitoring. Wichtig seien im jedenfalls individualisierte, vertrauliche und ganzheitliche Fallbetrachtung und Peer Review statt externer Kontrolle.
PD Dr. Kirsten von Sydow referierte zur Qualitätssicherung aus systemischer Sicht. Diese habe bisher wenig explizite Beachtung erfahren. Wichtig sei in der systemischen Sichtweise, dass alle Akteurinnen und Akteure zu berücksichtigen sind. Je nach Blickwinkel kann Qualität dann ganz unterschiedliche Aspekte haben (z.B. schnell einen Therapieplatz finden, nicht beschuldigt zu werden, Beziehungsverbesserung). Problematisch sei u.a., dass Diagnostik ein ambivalentes Thema sei, Probleme sollen nicht festgeschrieben werden. Bezüglich der Ergebnisqualität könne positiv hervorgehoben werden, dass es keine Hinweise auf besonders schwere Schäden gebe. Allerdings sei auch die Evidenzlage für positive Effekte aufgrund geringer Forschung schwach.

Umsetzung der Anforderungen an die Dokumentation und Qualitätssicherung
Isabella Mehling (Stellv. Lt. Psychologin BKH Augsburg) skizzierte die Dokumentationspraxis in der Krankenhaus­behandlung. Dort erfolge die Dokumentation fast ausschließlich über Kranken­haus-Informationssystem (KIS), es sei aber schwierig, alle Standorte (z.B. Ambu­lanzen) zu integrieren. Masken für Eingabe soll Arbeit erleichtern, oft werde aber doch von Hand getippt,  weil die Kategorien nicht passen. Für die Dokumentation der Einzelsitzungen habe man sich auf Mindestvorgaben geeinigt, beim Gruppen erfolgt eine sog. „Stapeldokumentation“ für alle Mitglieder, individuell werden nur besondere Vorkommnisse dokumentiert. Wichtig sei immer die Frage, für wen die Dokumentation gerade erfolgt (therapeutisches Team, Patientin/Patient, Staatsanwalt/Sozialgericht, medizinische Dokumentare, MDK/Kostenträger). Anfechtung von erbrachten Leistungen und deren Streichung seien nicht selten. Eine sektorenübergreifende Dokumentation wäre sinnvoll.
Michaela Willhauck-Fojkar (BPtK Vorstand) beleuchtete die Perspektive der niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit besonderem Blick auf die Anforderungen der KJP-Behandlung. Grundsätzlich sei die Dokumentation nicht nur gesetzlichen Regelungen unterworfen, sondern auch für die therapeutische Arbeit erforderlich und nützlich. Im Kinder- und Jugend (KiJu)-Bereich seien dabei besonders Einsichtsrechte und Einsichtsfähigkeiten der verschiedenen Beteiligten so berücksichtigen, da allein eine korrekte, rechtssichere Aufnahme sehr zeitaufwendig  sei, sei dies ohne Personal kaum zu bewerkstelligen. Konkrete Vorschläge für die Umsetzung der Qualitätssicherung seien: regelmäßige Verlaufsgespräche, störungsspezifische Verlaufsdiagnostik, Einschätzung des Funktionsniveaus, Intervision.

Empfehlungen für die Dokumentation psychotherapeutischer Behandlungen
Schließlich stellte Nikolaus Melcop (BPtK-Vorstand) den Entwurf der Bund-Länder AG „QS in der psychotherapeutischen Versorgung“ vor. Der Auftrag an die BPtK wurde durch das Psych­ThG­AusbRefG nochmal erweitert um den Aspekt der Ergebnisqualität. Der ursprüngliche Auftrag sei es gewesen, Empfehlungen für Inhalt einer (Basis-)Dokumentation sowie inhalt­liche Mindestanforderungen zu formulieren. Dabei sollten die Besonderheiten spezifi­scher Patientengruppen berücksichtigt werden. Man versuche auf diese Weise Einfluss auf den Entwicklungsprozess für ein QS Verfahren beim durch den Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragen Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) zu erlangen. Aufgrund der hohen Verschwiegenheit des dortigen Prozesses stoße man allerdings an Grenzen. Ein Zwischenbericht und eine offene Diskussion werden gewünscht.
Für die folgenden Dokumentationsbereiche hat die AG differenzierte Empfehlungen formuliert was dokumentiert werden soll:

  • Administrative Daten (u.a. Datum, Dauer, Behandlungsform, Nummer der Sitzung, ggf. abweichender Sitzungsort; wird zum Teil vom PVS automatisch erfasst))
  • Anamnestische Daten (Vorbehandlungen, Krankheitsanamnese, Medikation, Biografie)
  • Eingangsdiagnostik (Aktuelle Beschwerden/Behandlungsanlass, psychischer Befund, sozialmedizinische Aspekte, diagnostische Untersuchungen inkl. Testverfahren)
  • Informationen und Aufklärung (über festgestellte psych. Erkrankung, indizierte Behand­lung, Behandlungsalternativen, Rahmenbedingungen der Behandlung, Einwilligung)
  • Behandlungsplan (ätiopathogenetische Hypothesen, Störungsmodell, vereinbarte Thera­pieziele, angewendetes Verfahren und Setting, geplantes therapeutisches Vorgehen)
  • Erfassung Behandlungsverlauf (sitzungsbezogene Verlaufsdokumentation erforderlich: durchgeführte Interventionen und deren Ergebnisse,  verfahrensbezogene Beschreibung des Therapiegeschehens, relevanter Änderungen im psych. Befund, ggf. Veränderungen in der Behandlungsentwicklung)
  • Abschlussdiagnostik

In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem der Wunsch nach konkreten Vorschlägen für Testverfahren kritisch diskutiert. Unter anderem von Seiten des VPP wurde eingebracht, dass die Aspekte einer guten Dokumentation differenziert betrachtet werden sollten von einer gesetzlich angeordneten und unbegründeten externen Kontrolle unserer Arbeit.

Johanna Thünker