Stellungnahme von Psychotherapeutenverbänden zu den Psychotherapierichtlinien-Änderungen
Sehr geehrter Herr Dr. Helou,
Ihnen liegt der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung
der Psychotherapie-Richtlinien vom 20.Juni 2006 zur Prüfung nach § 94
SGB V vor.
Wir wenden uns an Sie, da wir Korrekturbedarf in einigen wichtigen Punkten der
beschlossenen Veränderungen sehen. Wir möchten Sie bitten, folgende
Punkte in Ihre Beratungen im Rahmen der rechtlichen Überprüfung einzubeziehen:
- Der Wissenschaftliche Beirat hat in seinen Prüfungen mit dem Kriterium
der Anwendungsbreite und der Definition von mehreren Anwendungsgebieten, von
denen gewichtet für eine Teilmenge Wirksamkeitsnachweise vorzulegen sind,
eine Art des Vorgehens gewählt, die die Schwierigkeiten der Operationalisierbarkeit
der Entscheidungskriterien widerspiegelt. Durch die im jetzigen G-BA-Beschluss
vorgenommene Einengung auf drei zu überprüfende Indikationsbereiche
an einzelnen, ICD-10-Diagnosen zugeordneten, Studien wird weder dem Kriterium
der Versorgungsrelevanz und Versorgungsrealität noch dem Kriterium des
Standes der Wissenschaft hinreichend Rechnung getragen (s. Verfahrensordnung
des G-BA). Letztlich können nur ergänzende Untersuchungen der Effektivität
von Behandlungen unter Realbedingungen die Relevanz für die Versorgung
endgültig nachweisen. Somit kann mit reiner Wirksamkeitsforschung und mit
Abstellen auf Studien, die sich einer Monosymptomatik zuordnen lassen (während
allgemein bekannt ist, dass im Bereich der Psychotherapie komorbide Störungen
vorherrschen) die Erfüllung des Kriteriums der Versorgungsrelevanz nicht
rechtssicher genug abgebildet werden. Bei einer so weit reichenden Regelungswirkung
ist zu fordern, dass die Bestimmungen sowohl in ihren Engführungen als
auch in ihren Unbestimmtheiten sachgemäß und rechtlich stichhaltig
sind.
- Mit der Orientierung der Anwendungsbereiche an der ICD -10 Systematik
wird es erforderlich, alle Indikationsgruppen für Psychotherapie zu berücksichtigen.
Die vorliegende Aufzählung enthält nicht die Störungen der ICD
10 Kategorie F 54: "Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei
anderenorts klassifizierten Krankheiten". Da auch bei dieser Indikationsgruppe
Psychotherapie indiziert sein kann und nicht nur im Rahmen der medizinischen
Rehabilitation – wie im Beschluss vorgesehen - , muss sie u.E. mit genannt
werden, zumal der die Aufzählung einleitende Satz einschränkend formuliert: "Indikationen
zur Anwendung von Psychotherapie ……können nur sein:"
- Darüber hinaus erscheint es auch unter Rechtsexperten umstritten,
ob künftig ein wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren, das
Gegenstand vertiefter Ausbildung ist, im Rahmen der Prüfung zur sozialrechtlichen
Zulassung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss als Methode (B 1.4) in andere
Vertiefungsverfahren eingeordnet werden kann. Dies hätte die Folge einer
de facto - Verhinderung der vertieften Ausbildung, weil den in diesem Verfahren
ausgebildeten Psychotherapeuten der Zugang zur Vertragspsychotherapeutentätigkeit
verwehrt bliebe und Ausbildungsstätten nicht ermächtigt werden könnten.
Der Justiziar der Bundespsychotherapeutenkammer war in seiner Stellungnahme
zum Urteil der Rechtswidrigkeit dieser Bestimmung gekommen. Wir bitten diesbezüglich
um rechtliche Klärung.
Die aufgezeigten Kritikpunkte sind von grundlegender Bedeutung, weshalb sie
u.E. einer grundsätzlichen Überprüfung bedürfen.
Darüber hinaus kommt ihnen auch ein Stellenwert bezüglich des noch
anhängigen Zulassungsverfahren für die Gesprächspsychotherapie
zu: Mit der verabschiedeten und Ihnen vorliegenden Richtlinienänderung
erfolgte, sobald Ihrerseits das Prüfverfahren abgeschlossen wird, auch
eine Veränderung der Rechtsgrundlage für dieses Verfahren. Die Landespsychotherapeutenkammern
NRW und Baden-Württemberg haben die volle sozialrechtliche Anerkennung
der Gesprächspsychotherapie vor genau vier Jahren beim Bundesausschuss
beantragt. Wir bitten in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob es rechtens
ist, wenn nach Ablauf eines jahrelangen Prüfungsmarathons und nach inzwischen
zwei Veränderungen der Prüfkriterien jetzt die gerade erst beschlossenen
Kriterien auf den Prüffall angewandt würden. Das Verfahren zur sozialrechtlichen
Anerkennung müsste u.E. endlich nach den noch geltenden Kriterien umgehend
durchgeführt werden. Die sachlich und formal schon kaum zu rechtfertigende
Hinauszögerung dieses Verfahrens sollte nicht durch rechtlich höchst
angreifbare Kriterien-Anwendung noch zu einem fortgesetzten Streit vor den Gerichten
führen.
Mit der Bitte um Überprüfung in den genannten Punkten verbleiben
wir im Namen der aufgeführten Verbände
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Bertram
Vorsitzender des VPP im BDP
Die Stellungnahme wird unterstützt von:
- Arbeitsgemeinschaft für Verhaltensmodifikation e.V. (AVM)
Geschäftsstelle
Dr. Haas-Str. 4,
96047 Bamberg
Tel: 0951-2085211
Fax: 0951-2085215
info@avm-d.de
- Berufsverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen
und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten e.V. (BKJ)
Bundesgeschäftsstelle
Am Markt 8,
36251 Bad Hersfeld
Tel: 06621-170760
Fax: 06621-170761
bgst@bkj-ev.de
- Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten e.V. (bvvp)
Geschäftsstelle
Schwimmbadstr. 22,
79100 Freiburg
Tel: 0761- 791 02 45
Fax: 0761- 791 02 43
bvvp@bvvp.de
- Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung e.V. (DGfS)
Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt
Universitätsklinikum HH-Eppendorf,
Abt. für Sexualforschung
Martinistr. 52,
20246 Hamburg
Tel: 040-42803-2225
Fax: 040-42803-6406
hrichter@uke.uni-hamburg.de
- Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie e.V. (DGK)
Dr. Manfred Thielen
Crellestr. 14,
10827 Berlin
Tel: 030-7883278
Fax: 030-78958652
ma.thielen@gmx.de
- Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie
(DGSF)
Bundesgeschäftsstelle
Pohlmannstr. 13,
50735 Köln
Tel: 0221 613133
Fax: 0221 9772194
Info@dgst.org
- Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V. (DGVT)
Bundesgeschäftsstelle
Postfach 1343,
72003 Tübingen
Tel: 07071-943494
Fax: 07071-943435
dgvt@dgvt.de
- Deutsche Psychologische Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie
(DPGG)
Anette Schmoeckel
Niedernstr. 3,
33602 Bielefeld
Tel: 0521-122540
AnetteSchmoeckel@web.de
- Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GwG)
Bundesgeschäftsstelle
Dipl.-Psych. Karl-Otto Hentze
Melatengürtel 125a,
50825 Köln
Tel: 0221-925908-0
Fax: 0221-251276
Hentze@gwg-ev.org
- Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und
Psychotherapeuten im BDP e.V. (VPP im BDP)
Bundesgeschäftsstelle
Glinkastr. 5 -7,
10117 Berlin
Tel: 030-2063990
Fax: 030-206 39912
info@vpp.org