Stellungnahme des Verbandes Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VPP) im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) e.V. zur Entwurfsfassung der „Verfahrensregeln des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie zur Beurteilung der wissenschaftlichen Anerkennung von Methoden und Verfahren der Psychotherapie“ (Stand 2.1.2007)
unter Berücksichtigung der Stellungnahmen von:
Zusammenfassung
Am 13. März berät der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) die Verfahrensregeln zur Beurteilung der wissenschaftlichen Anerkennung von Methoden und Verfahren der Psychotherapie. Im Vorfeld der Beratung „und gegebenenfalls Beschlussfassung“ des sogenannten Methodenpapiers hat der VPP-Bundesvorstand drei Wissenschaftler mit dem Schwerpunkt Psychotherapie um ihre Stellungnahme zur aktuellen Entwurfsfassung (Stand 2.1.2007) gebeten, um vor diesem fachlichen Hintergrund eine eigene Einschätzung abgeben zu können. Dazu waren die Verbände Anfang Februar von der Bundespsychotherapeutenkammer aufgefordert worden.
Sowohl Inhalt wie auch Vorgehen sind nach Meinung des VPP äußerst fragwürdig, da hier ein dazu aus Sicht des VPP nicht befugtes Gremium in Grundlagen und berufsrechtliche Aufgaben der Psychotherapeutenkammern eingreift, es muss über Aufgaben, Ziel- und Zusammensetzung des WBP neu beraten werden.
Zum Methodenpapier: Die knappe Frist, die Unabsehbarkeit der berufs- und sozialrechtlichen Folgen eines möglichen Beschlusses, die Undeutlichkeiten bezüglich der Rolle und der Kompetenz des Wissenschaftlichen Beirats und vor allem die sich aus Forschungsperspektive und Berufspraxis lückenhaft darstellenden Erkenntnisse lassen nur das Fazit zu, dass jetzt eine fundierte fachliche Diskussion auch außerhalb des WBP erforderlich ist, bevor ein Beschluss gefasst wird. Der Hinweis zur Veröffentlichung des Entwurfs auf der Homepage der BPtK war ein erster Schritt dazu, die Aufforderung zur Stellungnahme ein zweiter. Nach Auffassung des VPP sollte dieser Weg nun auch konsequent weitergegangen werden.
1. Inhaltliche Bewertung: Einleitung
Der inhaltlichen Bewertung des Methodenpapiers seien drei Zitate vorangestellt:
1. „Zusammenfassend stellt sich die Frage: Soll sich das therapeutische Angebot in der BRD in Zukunft auf Verhaltenstherapie beschränken? Dieses Resultat kann nicht ausbleiben, sollten die völlig einseitigen Evaluationskriterien des Methodenpapiers tatsächlich zum Tragen kommen.“ (Prof. Dr. Gottfried Fischer, Leiter der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Neuen Gesellschaft für Psychologie)
22. „(...) der WBP (…) sollte sie (Anm. der Red.: die berufsrechtlichen Aufgaben) nicht an einen mit ganz anderen sozialrechtlichen Aufgaben betrauten G-BA überantworten, sondern in aller Öffentlichkeit erklären, dass die Feststellung der Wissenschaftlichkeit eines Verfahrens Angelegenheit der Psychotherapeutenkammern ist.“ (Prof. Dr. Dr. Günter Zurhorst, Sächsisches Institut für methodenübergreifende Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (SIMKI) e.V.)
3. „„Auf der Seite 4 wird im Papier des WBP im ersten Absatz hervorgehoben, dass ein Verfahren in der Wissenschaft „... nur dann als positiv wirksam (zu gelten habe), wenn seine Wirksamkeit und seine Unbedenklichkeit mit empirischen Methoden nachgewiesen wurden. Die Erklärung der Wirkungsweise ist ein zusätzlicher Aspekt.“ Hier irrt der WBP. In der Psychotherapie ist die Situation anders als in der pharmakologischen, physischen oder chemischen (rein naturwissenschaftlichen) Forschung! So lange rein gar nichts über die veränderungsrelevanten Prozesse empirisch gesichert ist („Erklärung der Wirkungsweise“), kann nicht behauptet werden, ein bestimmtes psychotherapeutisches Verfahren oder eine bestimmte Methode seien wirksam.“ (Prof. Dr. Volker Tschuschke, Abteilung für Medizinische Psychologie, Uniklinik Köln)
Die Zitate zeigen die Brisanz der Vorlage auf, der man zwar zugute halten kann, dass wenigstens die externe Validität Berücksichtigung findet (anstelle der alleinigen Orientierung an RCT-Studien), die aber in ihrer jetzigen Form zwangsläufig zu einer Vereinseitigung in Richtung verhaltensmedizinischer Standards führen wird und eine Entwicklung fördert, die es auf absehbare Zeit unmöglich macht, dass neue Psychotherapieverfahren berufs- und/oder sozialrechtlich zugelassen werden.
2. Bewertungskriterien: Einseitige Orientierung an RCT-Studien
Das Methodenpapier stellt nach Einschätzung von Prof. Dr. Gottfried Fischer, NGfP, die „Prüfung psychotherapeutischer Verfahren nach Kriterien der experimentellen Psychologie in den Vordergrund. Damit werden (...) Psychotherapieverfahren begünstigt, die wie die Verhaltenstherapie in sich schon nach dem Modell der Experimentalpsychologie strukturiert sind.“ Die Bewertungskriterien seien „durchweg orientiert am Modell der „Randomized Controlled Trials“ (RCT), also an jenem Studientyp, der sich durch maximale Praxisferne (...) und Künstlichkeit der Untersuchungsbedingungen auszeichnet. Die vielfältig vorgetragenen Bedenken gegenüber einer einseitigen Ausrichtung der Evaluation an den RCTs bleiben unbeachtet.“
Und Zurhorst ergänzt, dass die evidenzbasierte Medizin eigentlich neben den RCT-Studien Wert auf die klinische Urteilsbildung und auch auf die Patientenpräferenzen lege, der WBP beides jedoch zurückweise, indem er schreibt: „Der Eindruck von Patienten und Therapeuten, dass eine Behandlung erfolgreich ist, ist von einer Vielzahl von Bedingungen abhängig; er ersetzt nicht eine kontrollierte Überprüfung mittels objektiver, reliabler und valider Messungen.“
Für das Gebiet der Psychotherapie sei der Nachweis einer experimentellen Wirksamkeit (efficacy studies) völlig unbrauchbar und im Gegenteil absolut irreführend, sagt dagegen Tschuschke. Er fordert, dass die bestehenden und bislang anerkannten Verfahren ausreichend prozessuntersucht werden sollten, „um psychotherapeutische Veränderungen auf die spezifischen therapeutischen Veränderungen zurückzuführen (unter Kontrolle externer relevanter Lebensbedingungen und –veränderungen)“.
3. Mangelnde Berücksichtigung der psychotherapeutischen Versorgungsforschung
Zwar sei auch für die NGfP eine angemessene Standardisierung und Manualisierung von Psychotherapieverfahren wünschenswert, doch stellt Fischer die „Hierarchisierung der Bewertungskriterien“ deutlich infrage, bei welcher „die experimentelle Methode auf Platz 1 rangiert, die Praxis- und sogar die Versorgungsforschung dagegen so gut wie nicht vorkommt.“ Sein Kommentar: „Mit welchem Ziel wohl hat die Bundesregierung Psychologische Psychotherapeuten in die Versorgung der Bevölkerung einbezogen, wenn nicht mit dem, die psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung zu verbessern? Diese Frage lässt sich nun allerdings nicht mehr über RCTs beantworten, sondern erfordert naturalistische und Feldstudien, welche die Auswirkung des psychotherapeutischen Angebots auf die Gesundheit der Bevölkerung untersuchen und zu einer Abschätzung der Nutzen-Kosten-Relation im Versorgungssystem beitragen. Untersuchungen dieser Art liegen zwar schon in beträchtlichem Umfang vor, sollen aber nach den Kriterien des Methodenpapiers für die Evaluation von Psychotherapieverfahren paradoxerweise ausgeschlossen sein.“
Im Übrigen könne es keine durchgängig manualisierte Psychotherapie geben, unterstreicht Tschuschke: „Ich halte dies für einen absoluten Irrweg, der eine völlige Verkürzung psychotherapeutischen Handelns darstellt (…). Dann könnte man ja gleich Maschinen die Therapie ausführen lassen, die mit Sicherheit eine 100%-ige Manualtreue realisieren würden.“
4. Reduktion der Psychotherapie auf Verhaltenstherapie
Sollten „die völlig einseitigen Evaluationskriterien des Methodenpapiers tatsächlich zum tragen kommen“, stünde laut Fischer zu befürchten, dass sich das therapeutische Angebot in der BRD in Zukunft auf die Verhaltenstherapie beschränken würde, da nach dem Entwurf nur „experimentelle Einzelfallstudien“ zugelassen wären, die nach den genannten Kriterien ausschließlich in der Verhaltenstherapie stattfinden könnten. Auch Prof. Zurhorst sieht in dem Methodenpapier den Beginn einer „weiteren Runde der Verschärfung der Vereinseitigung“ in Richtung verhaltensmedizinischer Standards.
Dieser Befürchtung steht nach Auskunft der Neuen Gesellschaft für Psychologie gegenüber, dass sich die Psychotherapie in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten Anerkennung verschafft hat „durch ein Angebot psychotherapeutischer Verfahren, die nicht im psychologischen Forschungslabor, sondern durchweg aus der psychotherapeutischen Praxis und Versorgung heraus entstanden sind.“
5. Reduktion von Psychotherapieverfahren auf Methoden für isolierte Störungen
„Beurteilungen der wissenschaftlichen Anerkennung sollten daher primär für einzelne Methoden für einzelne Störungen vorgenommen werden“ heißt es in dem WBP-Entwurf. Und weiter: „Die Anerkennung einer Methode bezieht sich auf die jeweils spezifische Störung“. Laut Tschuschke ist das Konzept der „Störungsspezifität“, das ausschließlich der Verhaltenstherapie entstammt, für humanistische und psychodynamische Verfahren ganz und gar nicht nachvollziehbar: „Es ist unzählige Male an maßgeblicher Stelle ausgeführt worden, dass man in der Psychotherapie gerade nicht von isolierten, monokausalen Störungsbildern als dem Normalfall ausgehen kann! Entsprechend lässt sich keine isolierte Technik (oder Methode) identifizieren, die komplexe psychische, neurotische, strukturelle oder psychosomatische Konstellationen – bei denen Komorbiditäten der Normalfall sind! – kurieren oder verbessern könnten (…).“
Auch Zurhorst als Leiter des Sächsischen Instituts für methodenübergreifende Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie spricht von „absurden störungsspezifischen Engführungen der Psychotherapieausbildung“, wenn er auf Seite 7 des Methodenpapiers liest: „Über die jeweils notwendige Breite der Indikations- oder Anwendungsbereiche wird definiert, ob ein Verfahren gegebenenfalls Schwerpunkt der Ausbildung (Berufsrecht) bzw. Grundlage für den Erhalt des Fachkundenachweises (Sozialrecht) sein kann.“
Der Entwurf des Wissenschaftlichen Beirats reduziert Psychotherapie endgültig auf eine Methode, indem er Verfahren als eine Summe von Methoden definiert. Er verändert damit grundsätzlich das Menschenbild der Psychotherapie von einer in sozialen Beziehungen (welche ihre Gesundheit befördern oder stören) stehenden ganzheitlichen Person zu einem aus reparierfähigen Einzelteilen bestehenden Wesen - ganz wie es dem klassischen Bild in der Medizin entspricht. Damit kann es sich aber auch nicht mehr seinem Beobachtungsobjekt - einem Beziehungsprozess - in angemessener Weise annähern. Auf diese Weise werden dann bestenfalls nur einzelne herausgelöste Vorgehensweisen, nicht aber der psychotherapeutische Prozess selbst erforscht.
6. Der Wissenschaftliche Beirat im Verhältnis zum Gemeinsamen Bundesausschuss
In diesem Zusammenhang muss an die langwierige Geschichte der Beurteilung der Gesprächspsychotherapie erinnert werden: Der WBP hatte im Jahr 2002 nach eingehender Prüfung der wissenschaftlichen Evidenz die Gesprächspsychotherapie als wissenschaftlich anerkanntes Verfahren und damit als ein Verfahren der vertieften Ausbildung empfohlen. Im Herbst 2006 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss der GPT (bis auf eine einzige Studie) die Wissenschaftlichkeit abgesprochen und ihr damit die sozialrechtliche Anerkennung weiterhin verweigert. Diese Entscheidung wurde im Januar 2007 vom Bundesministerium für Gesundheit beanstandet. Prof. Dr. Zurhorst bezeichnet es als „skandalös“, wenn „ein Fachgremium von hochrangigen Wissenschaftlern von einem mit Nicht-Wissenschaftlern, sondern mit Leistungserbringern in der kassenärztlichen Versorgung besetzten Entscheidungsgremium derart in Frage gestellt wird.“
Die jetzt vorliegenden neuen Verfahrensregeln sind offensichtlich der Versuch, dieses chaotische und desaströse Gegeneinander durch eine Unterordnung des WBP unter den G-BA, eine Unterordnung des Berufsrechts unter das Sozialrecht, zu regeln. Ganz abgesehen davon, dass dies nicht Aufgabe des WBP, sondern Aufgabe der Kammern und, als ihre übergreifende Arbeitsgemeinschaft, der BPtK ist, geht es in seinem Inhalt in die falsche Richtung, nämlich die Unterordnung von Berufsrecht unter Sozialrecht.
7. Wer beurteilt Wissenschaftlichkeit eines Verfahrens: Der WBP oder die Kammern?
Dringend zu klären ist die Kompetenz und Zuständigkeit des Wissenschaftlichen Beirats, bevor die „Verfahrensregeln des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie zur Beurteilung der wissenschaftlichen Anerkennung von Methoden und Verfahren der Psychotherapie“ beschlossen werden. Prof. Dr. Tschuschke, Universität Köln, betont: „Es drängt sich der Eindruck auf, die akademische Psychologie befinde sich in einem Elfenbeinturm, der mit den Realitäten alltäglicher psychotherapeutischer Praxis nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Wie kann sich der WBP von einer solch einseitigen Sichtweise vereinnahmen lassen?“
Es wäre denkbar, dass die Profession den WBP zur Beratung in wissenschaftlichen Fragen nutzt. Aber dann wäre er eben ein Beratendes Gremium, die letztlichen Entscheidungsgremien sind und bleiben die Kammergremien. Ein wie hier gesetztes wissenschaftliches Verständnis kann durch die Profession in keiner Weise akzeptiert werden. Eine Aufgabenstellung des WBP, wie im Entwurf formuliert, bedeutet aber das Abdanken der Kammergremien.
8. Fazit
Zum Abschluss der inhaltlichen Abwägungen ist aus VPP-Perspektive noch mal zu unterstreichen, dass der Entwurf des WBP-Methodenpapiers keinesfalls bereits am 13. März beschlossen werden darf. Hier ist im Rahmen eines hierfür nicht befugten Gremiums und außerhalb der fachpolitischen Öffentlichkeit eine solche grundsätzliche Umformulierung nicht nur wissenschaftlicher, sondern eben vor allem berufspolitischer Grundsätze angesteuert, dass sich am Ende die Profession selbst nicht mehr wiedererkennen wird.
Es ist eine fundierte Diskussion in der psychotherapeutischen Fachöffentlichkeit - mit ausreichend zeitlichem Spielraum - zwingend notwendig, da wesentliche Aspekte aus Forschung und Berufspraxis bisher keine Berücksichtigung finden. Ein entsprechend „überstürzter“ Beschluss schon am 13.3.2007 würde nicht nur den Versuch, dem Feld der Psychotherapie mit ihm angemessenen Mitteln wissenschaftlich und forschend zu begegnen, verfehlen, sondern müsste auch als Versuch verstanden werden, ohne ausreichende Beteiligung der Profession gravierend in die berufsrechtliche Regelungskompetenz der Kammern durch ein hierfür aus Sicht des VPP nicht legitimiertes Gremium einzugreifen. Dieser würde die Ausübung von Psychotherapie im Rahmen des Berufs- und Sozialrechts gravierend beeinflussen und das Selbstverwaltungsrecht der Kammern grundsätzlich infrage stellen. Es erhöbe den WBP zum obersten Bestimmer über berufsrechtliche Fragen, um dann gleichzeitig diese in einem unvergleichlichen Kotau gegenüber dem G-BA den sozialrechtlichen Gremien unterzuordnen.
Dieser Entwicklung muss die Profession unbedingt Einhalt gebieten. Der VPP betrachtet das Zur-Diskussion-Stellen des Vorgangs durch die Bundespsychotherapeutenkammer als einen ersten, dringend gebotenen Schritt. Er fordert die BPtK auf, diesen Vorgang ganz aus der klandestinen Diskussion in einem kleinen sich selbst beauftragenden wissenschaftlichen Gremien herauszuführen in die dringend gebotene Besprechung der fachpolitischen Öffentlichkeit, zu der ja selbstverständlich auch ein weit über den WBP hinausgehender Pool hochqualifizierter Wissenschaftler gehört. Er fordert den WBP dringend auf, sich hier selbst zu bescheiden und in die notwendige breitere Fachdiskussion einzutreten.
Heinrich Bertram
Eva Schweitzer-Köhn
Hans-Werner Stecker
VPP-Bundesvorstand
9.3.2007