VPP im BDP: Beträchtliche Auswirkungen auf Honorare für Psychotherapie, Diagnostik und Probatorik
Entgegen der Hoffnung machenden Urteile von Sozialgerichten und Landessozialgerichten, in denen die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit ihren Honorarklagen Recht bekamen, ist das BSG unter dem neuen Vorsitzenden Bundesrichter Dr. Wenner hinter seine frühere eher psychotherapeutenfreundliche Rechtsprechung zurückgefallen und hat dem Bewertungsausschuss ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit zugestanden und die Argumente der Psychotherapeuten zurückgewiesen.
Praxisbetriebskosten
Im beklagten Bewertungsausschussbeschluss zur Honorierung der genehmigungspflichtigen
psychotherapeutischen Leistungen werden die Kosten einer voll ausgelasteten
Praxis mit 40.634 € Fixum angesetzt. In den Vergleichsarztgruppen werden
die Praxiskosten jedoch mit einem Prozentsatz des Gesamthonorars angesetzt.
Sowohl die Höhe der Kosten wie auch die Festlegung auf einen Festbetrag
an Stelle der prozentualen Kostenanteilsberechnung war von den Psychotherapeuten
beklagt worden. Sie erhofften sich v.a. deshalb die Unterstützung des
obersten Gerichts, weil dieses selbst in seiner Modellrechnung von 2004
sowohl den prozentualen Berechnungsweg eingeschlagen wie auch zu einer höheren
Kostensumme gelangt war. Die klagenden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
hatten gehofft, dass durch eine wortgetreue Angleichung des Bewertungsausschussbeschlusses
vom 28. Oktober 2004 an das BSG-Urteil vom 28. Januar 2004 die Höhe
der Vergütung zu ihren Gunsten geändert werden müsste.
Hier sei eine Vergleichsberechnung angeführt, die jede Leserin/jeder
Leser anhand des Punktwertes der zuständigen KV nachvollziehen kann:
Im Bereich einer KV galt bis Ende 2007 nach dem Beschluss des Bewertungsausschusses
z.B. ein Punktwert von 5,05 ct. Das ergibt bei 1548 Stunden einen maximal
zu erzielenden Umsatz aus genehmigungspflichtigen Leistungen von 113.352 € und
einen Ertrag von 72.718 €. Das müsste der durchschnittliche Ertrag
der Vergleichsärzte aus dem Jahr 2002 sein. Wenn denn nun 72.718 € -
wie in den Klagen gefordert - 59,8 % des Umsatzes sind, dann müsste
lt. Klage der Gesamtumsatz betragen: 121.602 €. Das bedeutet eine Differenz
von 8.250 €. Auf die Therapiestunde bezogen: 5,32 €.
Herausnahme von Leistungen aus dem Arztgruppenvergleich
Weiter hatten die Klägerinnen aufgeführt, dass es ein sie unangemessen
benachteiligendes Vorgehen sei, wenn der Ertrag der Vergleichsarztgruppen
durch Vorwegabzug bestimmter Leistungen reduziert würde; das seien insbesondere
die Laborleistungen, die Einnahmen aus Modellvorhaben und die aus belegärztlicher
Tätigkeit. Das Gericht zeigte sich an dieser Stelle akribisch. Es hatte
recherchiert, inwieweit diese Einkünfte tatsächlich für die
Vergleichsarztgruppen relevant seien. Es stellte dabei fest, dass diese Erträge
für den Mix aus den unterschiedlichen Facharztgruppen, die seit 2002
die Berechnungsgrundlage bilden, nicht relevant seien, da sie sich durch
die Mixtur der Gruppen gegenseitig aufheben würden. Anders schätzte
das Gericht das jedoch für den Bereich der Hausärzte und deren
Einkünfte aus laborärztlichen Tätigkeiten (EBM-Kapitel O)
ein. Es fand heraus, dass diese Abrechnungsziffern in den von ihnen überprüften
KVen einen Anteil am Umsatz von 7,33 % sei. Insofern stellte das Gericht
fest, dass die Honorare für die psychotherapeutischen Leistungen für
die Jahre 2000 und 2001 neu berechnet werden müssten unter Einbeziehung
der Honorare für Laborleistungen der Hausärzte. Dafür sei
bis zum 31.12.2008 vom Bewertungsausschuss ein Berechnungsmodell vorzulegen.
Sollte er dieses bis dahin nicht erledigt haben, sind die regionalen KVen
verpflichtet nach zu berechnen, insoweit die Bescheide für diesen Zeitraum
noch offen sind.
Auch hier wieder eine Berechnung (fiktive Zahlen, lediglich, um einen Anhaltspunkt
zu erhalten):
60.000 € Ertrag plus 50 % Kosten = 120.000 € Umsatz
Plus Leistungen aus Kap. O = 129.490 €
Abzüglich Kosten von 50 % = 64.745 €.
Die Differenz von 4.745 ergibt bezogen auf 1548 Stunden: 3.06 € pro
Therapiestunde.
Bei einem Kostenanteil von 46 % ergibt die Differenz 3,24 € je Stunde
Vergleichsertrag 70.000 € / Umsatz 140.000: Korrektur um 7,33 % = 151.073€ ,
abzüglich 50 % Kosten 75.536 € = Erhöhung je Stunde um 4.87 €.
Es wird für die KVen und Krankenkassen sicher eine Herausforderung, die in der Summe dann doch nicht unbeträchtliche Nachzahlung von bundesweit geschätzten 40 bis 50 Millionen € zu finanzieren.
Wenn nun eine solche kleine Drehung der Stellschraube in der Feststellung des Vergleichsertrags bereits zu solchen Auswirkungen führt, wird deutlich, weshalb das Gericht sich von seinen früheren Feststellungen etwas distanziert (s.a. Wenn der Groschen fällt).
Leistungen der Probatorik und Diagnostik
Es ist dem Senat nach Ansicht der Beobachter ein Anliegen, das Kollektivvertragssystem
durch seine Rechtsauffassung zu stützen, solange der Gesetzgeber nicht
andere Fakten schafft. Nur ins Auge springende Ungerechtigkeiten werden
bundesrichterlicherseits moniert, Differenzen - auch große - in der
Honorierung als gewachsene Strukturen innerhalb des Systems aber toleriert.
Das zeigt sich auch und vor allem darin, wie das Gericht die lediglich auf
dem Papier unbegrenzt vermehrbaren Leistungen der Probatorik und Diagnostik
behandelt. Dort sieht es eine Stützung dann als gegeben an, wenn die
Punktwerte unter 50 % von 5,11 ct = 2,56 ct über mehr als zwei Quartale
in einem KV-Bereich fallen würden. Wenn man noch einmal den im o.g.
Veranstaltungsbericht zitierten Aussagen des damaligen Berichterstatters
und heutigen Vorsitzenden des 6. Senats Dr. Wenner folgt, ist diese Aussage
konsequent: es bleibt auf diesem Hintergrund zu fragen, weshalb der Kläger
- nach dem Urteil des BSG vom letzten Jahr, als die Punktwertgrenze in mündlicher
Verhandlung auf 3 ct festgelegt war - seine Klage nicht zurückgezogen
hat, auch wenn gilt: Wie man dafür eine ordentliche Diagnostik oder
Versorgung außerhalb der Richtlinien-Psychotherapie wirtschaftlich
erbringen soll, bleibt Geheimnis des Gerichts: z.B. 45 € für eine
probatorische Sitzung (Plausibilitätszeit 70 Minuten), 39 € für
den Langzeitbericht an die GutachterIn, 7,80 € für 10 Minuten
psychotherapeutisches Gespräch = 39 € bei 50 Minuten.
An der Stelle erscheint die Aussicht auf den einheitlichen Orientierungspunktwert ab 2009 tatsächlich wie ein Hoffnungsstrahl für die Restpunktwertleistungen: hier wird derzeit von Werten um 3,9 - 4 Cent ausgegangen. Denn auf Probatorik zu verzichten, schadet der Qualität der Behandlung und kann guten Gewissens nicht durchgeführt werden.
Vielleicht muss man als kleinen Trost nehmen, dass die Selbstverwaltung wenigstens nicht mehr hinter die Marge, die mit dem Bewertungsausschussbeschluss vom Oktober 2004 gesetzt worden war, zurückfallen kann.
Ausblick
Nach der schriftlichen Urteilsbegründung, die aber noch einige Zeit
auf sich warten lassen wird, ist das Urteil nochmals differenzierter zu bewerten
und zu entscheiden, inwieweit anhängige Verfahren bei den Sozialgerichten
weiterverfolgt werden sollten und inwiefern es trotzdem Sinn macht, weiterhin
Widersprüche gegen Honorarbescheide einzulegen. Ein Grund dafür
könnte z.B. sein, dass in manchen KVen der Rechenweg nicht offengelegt
und nicht plausibel gemacht wurde (siehe: Sie müssen uns glauben oder
klagen … http://bdp-vpp.de/meldungen/05/50604_glauben.html ). Es wird
weiter Aufgabe der Beratenden Fachausschüsse der KVen sein, Transparenz
in die Berechnung der Vergleichseinkommen zu erhalten.
Eva-Maria Schweitzer-Köhn
Uschi Gersch
10.6.2008