Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) hat am 30. Juni 2008 seine Stellungnahme zur Psychodynamischen Psychotherapie (vom 11.11.2004) ergänzt. In der seinerzeitigen Stellungnahme hatte der WBP beschlossen, den Oberbegriff Psychodynamische Psychotherapie für die analytische und die tiefenpsychologisch fundierte Therapie zu verwenden und die Psychodynamische Psychotherapie als ein Verfahren anzusehen - mit der damaligen Einschränkung der wissenschaftlichen Anerkennung auf Psychotherapien bis zu 100 Sitzungen. Nun ist der WBP auf dem Hintergrund seines „Methodenpapiers“ zu dem Schluss gekommen, dass die ursprüngliche Beschränkung auf Behandlungen bis zu 100 Sitzungen nicht mehr haltbar ist.
In der jüngsten Ergänzung zu der genannten Stellungnahme wird die Psychodynamische Psychotherapie (unabhängig von Variationen der Behandlungsdauer, also einschließlich der Langzeittherapien über 100 Stunden) wissenschaftlich anerkannt für die Anwendungsbereiche affektive Störungen, Angststörungen, Anpassungs- und Belastungsstörungen, Dissoziative, Konversions- und somatoforme Störungen Essstörungen, psychische und soziale Faktoren bei somatischen Krankheiten, Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen, Abhängigkeit und Missbrauch sowie Schizophrenie und wahnhafte Störungen.
Kommentare zu dieser Ergänzung sind auf den Seiten der jeweiligen
Fachgesellschaften nachzulesen.
wbpsychotherapie.de
Kommentar des VPP im BDP:
Es geht nicht darum, der psychoanalytischen Psychotherapie die wissenschaftliche
Anerkennung zu verweigern. Das wäre absurd und schädlich für
die Versorgung. Wirksamkeit und Nutzen der psychoanalytischen Psychotherapie
für die PatientInnenversorgung wurden vielfach nachgewiesen, angefangen
von der Dührssen-Studie 1965, die überhaupt dazu geführt
hat, dass Psychotherapie Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung
werden konnte. Die Langzeittherapien über 100 Stunden waren bisher
aus anderen Gründen nicht wissenschaftlich anerkannt: wegen „besonderer
Forschungsfragen“.
Die psychoanalytische Langzeittherapie lässt sich schlecht mit RCT-Studien überprüfen. Solange diese aber als „Goldstandard“ gefordert werden, hätte die psychoanalytische Psychotherapie keine Chance. Aber: anstatt sich Gedanken über angemessene Bewertungsmethoden für die Psychotherapie zu machen und diese dann auch auf andere Verfahren, siehe Gesprächspsychotherapie, anzuwenden, wird hier ein Kunstgriff vorgenommen, der aus dem neuen Methodenpapier des WBP abgeleitet wird: „Der Wissenschaftliche Beirat versteht seinen Prüfauftrag für psychotherapeutische Verfahren nicht dahingehend, dass die Wirksamkeit der einem Verfahren zuzuordnenden Methoden jeweils gesondert zu belegen ist. Dies gilt erst recht für Variationen der Behandlungsdauer.“
Die psychodynamische Psychotherapie war bereits wissenschaftlich anerkannt
für ein breites Spektrum an psychischen Erkrankungen. Jetzt wird die
psychoanalytische Psychotherapie einfach darunter subsumiert, obwohl die
DGPT unter psychodynamischer Psychotherapie bisher nur die tiefenpsychologisch
fundierte Psychotherapie (bekanntlich einstündig mit max. 100 Stunden)
verstanden hat, s. http://www.dgpt.de/ . Frage: Bringt das die Psychotherapie
in irgendeiner Weise weiter? In RCT-Studien werden sehr häufig aus verständlichen
praktikablen Gründen nur kurze Therapien untersucht, die nicht der Realität
in der Versorgung entsprechen, auch nicht bei der meist kürzeren Verhaltenstherapie.
Sinnvoll und notwendig wäre es, dass sich die Vertreter im WBP für
eine angemessene Untersuchungsmethode für den Untersuchungsgegenstand
Psychotherapie einsetzen. Die Untersuchungsmethode verändert den Untersuchungsgegenstand!
vpp.org und wbpsychotherapie.de S.
36 Minderheitenvotum von Prof. Kriz.
Eva Schweitzer-Köhn
Stellvertretende Vorsitzende des VPP im BDP
20.9.2008