Die Auswirkungen des Paragraphen 87 Abs. 2e Ziffer 3 im Hinblick auf die psychotherapeutische Versorgung und die Honorare der Psychotherapeutengruppen
1. Verhältnis der Regelungen zur BSG-Rechtsprechung
Angesichts eines hohen Anteils nominell überversorgter Bedarfsplanungsbezirke
(Ist=Soll-Festlegung ohne Bezug zu einem realen Bedarf) würden die Psychotherapeuten
bundesweit Honorareinbußen zu verzeichnen haben. Dies ist aus folgenden Gründen
rechtlich nicht haltbar: In seinen Beschlüssen vom 27. und 28. August 2008 sowie
den entsprechenden Ergänzungen hat der Erweiterte Bewertungsausschuss die gesetzliche
Vorschrift der angemessenen Vergütung psychotherapeutischer Leistungen für 2010
so umgesetzt, dass ein bundesweit einheitliches Honorar von 81,14 € je Sitzung
von 50 Minuten durch eine entsprechende Anhebung der Punktzahl resultiert. Dies
ist ein Mindesthonorar gemäß BSGRechtsprechung,
wonach es „den Psychotherapeuten jedenfalls möglich müsse, mit größtmöglichem
Einsatz und einer optimalen Praxisauslastung den Durchschnittsüberschuss
einer Facharztpraxis erzielen zu können“. Ob dieses Ziel erreicht worden ist,
wird nachgeprüft werden müssen, wenn entsprechende Erkenntnisse über die Einkommen
der fachärztlichen Vergleichsgruppen vorliegen.
Eine Verminderung dieses nur die rechtlich vorgeschriebene Mindest-Vergütung
darstellenden Honorars pro Zeiteinheit wird von der bisherigen BSG-Rechtsprechung
nicht gedeckt. Lediglich sinkende Einkommen aller Ärzte oder der ärztlichen
Vergleichsgruppe könnten – so
das BSG – Abstriche auch an dem „Stundensatz“ der Psychotherapeuten rechtfertigen.
Eine solche Entwicklung der Arzthonorare ist aber nicht erkennbar.
Insgesamt
würde ein Abschlag die Psychotherapeuten als Gesamtgruppe aufgrund
des hohen Anteils nominell überversorgter Gebiete außerdem in höherem Maße betreffen
als andere Arztgruppen.
2. Gesetzlich geregelte Ärzte-Quote
Aus historischen Gründen gibt es in einem hohen Prozentsatz der Bedarfsplanungsbereiche
eine nominelle Überversorgung mit Psychotherapeuten. Dies liegt daran, dass
eine Ist=Soll-Festlegung ohne Bezug zu einem realen Bedarf vor Wirksamwerden
der Übergangsregelungen
des PTG vorgenommen wurde, in der unter bestimmten Bedingungen eine bedarfsunabhängige
Niederlassung ermöglicht wurde. Ein weiterer Grund für die nominelle Überversorgung
liegt in der schon lange bestehenden so genannten Ärztequote von früher 40%,
jetzt 25%, die aufgrund ihrer Systematik angesichts einer gemeinsamen Bedarfsplanung
von
ärztlichen Psychotherapeuten, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder-
und Jugendlichen-Psychotherapeuten ausschließlich in nominell überversorgten
Gebieten weitere Niederlassungsmöglichkeiten für ärztliche Psychotherapeuten
schuf.
Die Definition von Abschlägen für nominell überversorgte Gebiete würde
nun den Psychotherapeuten, denen diese Zulassungsmöglichkeiten ausdrücklich
per Gesetz eingeräumt
worden waren, einen Teil ihrer wirtschaftlichen Basis entziehen, soweit es
zu dieser bundesweit fast flächendeckend sich auswirkenden Absenkung der Honorare
der Psychotherapeuten käme. Die eingeräumte Niederlassungsmöglichkeit würde
so durch den Entzug einer angemessenen Vergütung wirtschaftlich quasi wieder
entzogen.
Auch ist zu bedenken, dass ein nicht geringer Prozentsatz der Psychotherapiepatienten
aus Anonymitätsgründen einen gewissen Weg in die städtischen Zentren bevorzugt,
so dass von einem überdurchschnittlich hohen Mitversorgungsanteil umliegender
unterversorgter Landgemeinden durch „überversorgte“ Stadtgebiete auszugehen
ist. Stellungnahme des GK II vom 29. Januar zur Korrektur des § 87 SGB V
3.
Honorarsystematik der Psychotherapeuten
Ein Hauptgrund für die inzwischen gefestigte Rechtsprechung des BSG zu Gunsten der
Psychotherapeuten liegt in der Art der Leistungserbringung der Psychotherapeuten: Sie
werden nach einem festen Stundensatz bezahlt, der an Mindestzeiten gebunden ist. Die
Kompensation eines niedrigeren Punktwertes durch Leistungsausweitung wird auch im Jahre
2011 (genau wie in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beim Einstieg in das
Hamsterrad) den Psychotherapeuten nicht möglich sein. Hingegen haben die zum Honorarvergleich
heranzuziehenden Ärzte auch unter Geltung des RLV die Möglichkeit, durch Fallzahlsteigerungen
ihr Honorar zumindest im darauf folgenden Jahr zu erhöhen und im
Rahmen ihrer extrabudgetären Leistungen eventuelle Punktwertabschläge durch
Mehrleistungen zu kompensieren.
Unseres Erachtens würde sich hier wiederum eine Schere zwischen den bundesweit
zu erreichenden Vergütungen der Psychotherapeuten und denen der Ärzte auftun,
die dann wieder eine Anhebung des Vergütungsniveaus erforderlich machen wird.
4.
Unerwünschte Wechselwirkung mit dem GKV-OrgWG
Bei der Umsetzung der im GKV-OrgWG aufgrund der neu eingeführten KJP-Quote ergibt
sich ein eklatanter Widerspruch: Um die Versorgung mit Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
zu verbessern, wird in nominell überversorgten Gebieten eine zusätzliche Niederlassungsmöglichkeit
für Psychotherapeuten geschaffen, die ausschließlich Kinder und
Jugendliche behandeln (In unterversorgten Gebieten ist eine Quotenregelung nicht
erforderlich). Wie auch die schon oben erwähnte Ärzte-Quote ist eine solche Regelung für
nominell überversorgte Gebiete deswegen nötig, um eine versorgungspolitisch gewünschte
Binnendifferenzierung der an sich gemeinsamen Bedarfsplanung für alle
Psychotherapeuten-Gruppen zu schaffen.
DieNotwendigkeit dieser gesetzlichen Regelung unterstreicht per se, dass
von einer nominellen Überversorgung eines Bedarfsplanungsbezirkes zumindest
bei der Psychotherapie keineswegs auf eine reale Überversorgung geschlossen
werden kann. Die Einführung
einer KJP-Quote würde ins Leere laufen, wenn den Niederlassungswilligen keine
wirtschaftlich tragenden Vergütungsbedingungen geboten werden. Allein dies macht
deutlich, dass bei den Psychotherapeuten bei Vorliegen einer nominellen Überversorgung
keine Abschläge vorgesehen werden sollten.
5. Versorgungspolitische Widersprüchlichkeit
Ganz konkret konterkariert wird die Absicht des Gesetzgebers im GKV-OrgWG,
die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu verbessern,
durch die ab 2010 geplante Regelung, wenn diese sich neu niederlassenden
Psychotherapeuten mit einer unzureichenden Vergütung "begrüßt" werden. Aber
auch alle anderen Psychotherapeuten, die keinerlei Einfluss darauf haben, ob
zum Beispiel durch Umsetzung der KJP-Quote ein Bedarfsplanungsbezirk aus der
Kategorie Überversorgung I in die Kategorie Überversorgung
II gerät, würden zu Unrecht mit einem niedrigeren Orientierungspunktwert gestraft.
Auch eine gestreckte Konvergenzphase für sog. Altärzte schafft hier angesichts
der oben ausgeführten
rechtlichen Problematik keine Lösung.
6. Zunahme psychischer Krankheiten
Wie erwähnt, ist trotz nomineller Überversorgung in sehr vielen Bedarfsplanungsbezirken
die reale Versorgung nicht sichergestellt. Dafür sprechen die Feststellung von
Sonderbedarf sowie die erneut sich ausweitenden Behandlungen im Kostenerstattungsverfahren
nach § 13
Abs. 3 SGB V. Ebenso weisen verschiedene Krankenkassenreports seit Jahren
unisono auf Stellungnahme des GK II vom 29. Januar zur Korrektur des § 87 SGB
V die Zunahme psychischer Erkrankungen hin, denen nur mit einer Steigerung der
Behandlungsangebote, und damit auch der psychotherapeutischen Behandlungskapazitäten
zu begegnen ist.
7. Gutachterverfahren und Wirtschaftlichkeitsprüfung
Im Bereich der Psychotherapie besteht insofern auch eine gesondert zu beurteilende
Situation, als die genehmigungspflichtigen Leistungen vorab durch Fach-Gutachter
auf medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Das unterscheidet
diese Leistungen von allen anderen. Damit ist – im Gegensatz zu anderen ärztlichen
Leistungen –
gewährleistet, dass es sich bei Mengensteigerungen nicht um einen Hamsterradeffekt
handelt, bei dem auch verzichtbare Leistungen zur Mengenausweitung beitragen,
sondern medizinisch erforderliche Behandlungen durchgeführt werden. Wenn aber
ein Psychotherapeut nachweislich ganz überwiegend nachgeprüft erforderliche
Leistungen erbringt, dürfen
diese nicht über Abschläge in den Bereich der Unwirtschaftlichkeit gebracht
werden.
Zusammenfassung
Somit ist festzustellen, dass die psychotherapeutische Versorgung durch die
Abschläge
mittelfristig gefährdet wird, da bei deutlicher Zunahme des Versorgungsbedarfs der Anreiz
zur Niederlassung und Kassenleistung maßgeblich tangiert wird.