Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung: Finden unsere Positionen Berücksichtigung?

Unter der Überschrift „Mehr Fortschritt vagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ verabschiedete die neue Bundesregierung, bestehend aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP; noch im Dezember ihren Koalitionsvertrag. Bereits im Wahlkampf hatte sich der BDP unter der Überschrift „Mit Psychologie aus der Krise“ an die Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien gewandt und Forderungen eingebracht. Der VPP war hierbei maßgeblich an den Positionspapieren zu den Themen Augenmaß bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens, gerechte psychotherapeutische Versorgung und notwendige Nachbesserungen bei der Psychotherapieausbildungsreform beteiligt. In diesem Artikel werden die Forderungen des VPP/BDP mit dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung abgeglichen.

Augenmaß bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens

Der VPP/BDP forderte Freiwilligkeit bei der Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA). Gefordert wurde von uns die sogenannte „Opt-in“-Variante, also das aktive Entscheiden für die ePA. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag die Freiwilligkeit festgeschrieben, es heißt wörtlich: „Alle Versicherten bekommen DGSGVO-konform eine ePA zur Verfügung gestellt“ (S. 81), allerdings favorisiert die Bundesregierung die Opt-out-Variante bzgl. des Anlegens der ePA für alle gesetzlich Versicherten – hierbei müsste also aktiv einer Anlage widersprochen werden. Es muss befürchtet werden, dass in einem nächsten Schritt das Opt-out auch für die „Befüllung“ der ePA kommen soll. Dadurch würden „automatisiert“ Befunde in der ePA gespeichert, was der Position des VPP komplett widerspräche. 

Bezüglich der Datensicherheit forderte der VPP/BDP das höchste Schutzniveau bei der Schnittstelle der ePA zu mobilen Endgeräten sowie das Schließen von bestehenden Sicherheitslücken, bevor Daten zu psychischen Erkrankungen gespeichert werden. Der Bundesregierung scheint dieser Aspekt ebenfalls wichtig, sie geht im Abschnitt zu digitalen Bürgerrechten und IT-Sicherheit (S. 16f) umfängliche auf das Thema Datensicherheit ein. Im genannten Kapitel beschäftigt sich die Bunderegierung recht ausführlich mit den relevanten Aspekten, es bleibt zu hoffen, dass sie ihrem hohen Anspruch trotz anderslautender Interessen relevanter Stakeholder aufrechterhält und konsequent umsetzt.

Der VPP/BDP fordert eine transparente Aufklärung über Vorteile und Sicherheitsrisiken bei Nutzung von digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen inklusive standardisierter Informationen. Im Kontext des Verbraucherschutzes wird im Koalitionsvertrag formuliert, dass man hohe Verbraucherschutzstandards gewährleiste. „Dazu gehören eine umfassende Verbraucherbildung, mehrsprachige Aufklärung und der situationsgerechte Zugang zu Information“ (S. 112). Die grundsätzliche Haltung der Bundesregierung entspricht hier unseren Forderungen, die notwendige Anwendung auf die Telematik-Infrastruktur ist jedoch nicht explizit erwähnt und muss weiter verfolgt werden.

Um Patientinnen und Patienten im Rahmen der Digitalisierung zu unterstützen und auf Anfrage beraten und unterstützen zu können, fordert der VPP/BDP eine angemessene Vergütung dieser Tätigkeit  – aktuell gibt es nur eine Abrechnungsziffer für die Erstbefüllung der ePA mit geringem Punktwert – sowie spezifische Regelungen für Minderjährige. Im Koalitionsvertrag ist zwar von „digitalen Bürgerrechten und IT-Sicherheit“ die Rede, die als staatlicher Auftrag verstanden werden (S. 16). Auch von den besonderen Anforderungen von Kindern und Jugendlichen ist im Kontext der Jugendhilfe die Rede (S. 99) sowie vom „Schutz der Menschenrechte im digitalen Zeitalter“, allerdings im eher außenpolitischen Kontext (S. 144). Einen direkten Bezug zur Digitalisierung im Gesundheitssystem findet sich hier also leider ebenso wenig wie die Anerkennung der Tatsache, dass Aufklärung und Unterstützung durch die betroffenen Berufsgruppen notwendig ist.

Der VPP/BDP fordert zum Schutz von Patientinnen und Patienten das Prinzip der Datensparsamkeit zu berücksichtigen. Zudem soll die Verwendung von „Datenspenden“ aus der ePA nur zu wissenschaftlichen Zwecken zugelassen werden. Besonders sensible psychotherapeutische Daten sollen gar nicht in der ePA gespeichert werden. Die Bundesregierung plant hier ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz zur besseren wissenschaftlichen Nutzung in Einklang mit der DSGVO sowie eine dezentrale Forschungsdateninfrastruktur. Die Inhalte dieses Gesetzes sind nicht ausgeführt – hier müssen Berufs- und Betroffenenverbände weiter ihre Interessen aktiv einbringen.

Digitale Anwendungen (DiGAs) gehören aus Sicht des VPP/BDP in die Hände approbierter Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten – und zwar von der Entwicklung bis hin zur Verordnung. Sie müssen in den therapeutischen Prozess integriert werden und können Psychotherapie nur ergänzen. Außerdem dürfen DiGAs nicht mit nachgeordneter Überprüfung ihrer Wirksamkeit zugelassen werden. Die Bundesregierung geht auf diese Forderung nicht ein, konstatiert nur allgemein: „Wir ermöglichen regelhaft telemedizinische Leistungen inklusive Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen sowie Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und die telenotärztliche Versorgung.“ (S. 84). Es bleibt zu befürchten, dass unseren Sorgen hier bisher unzureichend gehört wurden bzw. das Vorantreiben der Digitalisierung insgesamt den beschriebenen Interessen übergeordnet wird.

Gerechte psychotherapeutische Versorgung

Zentrale Forderung des VPP/BDP war eine Psychotherapie ohne Wartezeiten und damit eine gerechte psychotherapeutische Versorgung für alle Beteiligten. Dies schließt auch die Vergütung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ein. Im Koalitionsvertrag wird in einem umfangreichen Abschnitt auf die ambulante sowie stationäre Gesundheitsfürsorge eingegangen (S. 84ff). Dort wird zunächst betont, dass man eine integrierte, sektorenübergreifende Versorgung plane und besonders schlecht versorgte Regionen und Gruppen in den Fokus nehmen möchte.

Der VPP/BDP fordert, dass die sogenannte Bedarfsplanung sich am real existierenden Bedarf orientieren muss. Zudem müssen Wartezeiten verkürzt werden. Für dieses Anliegen ist der BDP/VPP im vergangenen Jahr bereits offensiv auf Politikerinnen und Politiker sowie auf die Presse zugegangen. Auch auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen wurde vom VPP/BDP hingewiesen, deren Situation hat sich durch die Corona-Pandemie massiv verschärft, allerdings bestand aber auch schon vorher vielerorts eine Unterversorgung. Die neue Bundesregierung schreibt im Koalitionsvertrag fest, dass bezüglich der Bedarfsplanung eine Reform geplant sei, „um Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz, insbesondere für Kinder- und Jugendliche, aber auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten deutlich zu reduzieren“ (S. 86). Diese Forderung, die einhellig von verschiedenen Berufsverbänden und nicht zuletzt vom Bündnis Kinder-brauchen-mehr vorgetragen wurden, wurde offenbar gehört.

Die Forderung nach einer leitliniengerechten Behandlung im stationären Bereich wurde in den Koalitionsvertrag übernommen. Dabei wurde die Berufsgruppe der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten explizit erwähnt („Im stationären Bereich sorgen wir für eine leitliniengerechte psychotherapeutische Versorgung und eine bedarfsgerechte Personalausstattung“, S. 86). Dies kann als Erfolg gewertet werden. Nichtsdestotrotz müssen die notwendigen Gesetzgebungsprozesse entsprechend von uns begleitet werden und die daraus resultierenden Vergütungsfragen dürfen nicht aus dem Blick geraten.

Notwendige Nachbesserungen im PsychThAusbRefG

Der VPP/BDP fordert für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) während der Übergangszeit – die immerhin noch bis 2032 geht, eine angemessene Vergütung nach Grundberuf während der Zeit in der Klinik (Praktische Tätigkeit I und II) sowie die tatsächliche Auszahlung von 40 Prozent des erwirtschafteten Umsatzes während der ambulanten Ausbildung ohne versteckte Kosten. Bedauerlicherweise wird im Koalitionsvertrag auf die schwierige Situation in der Psychotherapieausbildung nicht eingegangen, weder im Hinblick auf PiA noch auf die folgende Generation der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Weiterbildung. Lediglich für die Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher wird formuliert, dass diese „vergütet und generell schulgeldfrei“ sein soll (S. 99). Auch wenn einzelne Politikerinnen und Politiker im Vorfeld der Regierungsbildung suggerierten, sich der Problematik gewahr zu sein, sind die Ausgangsbedingungen für PiA hier eher ungünstig. Daher ist gerade auch hier unser berufspolitisches Engagement gefragt.

Weitere Forderungen des BDP waren, dass zur Gewährleistung der Durchführbarkeit der Ausbildung ausreichend Stellen in der Klinik vorgehalten werden müssten, damit kein/keine PiA am Ende der Übergangszeit ohne Abschluss dasteht. Zudem fordert der VPP/BDP, dass es für Psychologinnen und Psychologen sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die ihre Ausbildung nach dem alten Gesetz gemacht haben, Weiterqualifizierungsmöglichkeiten über die Übergangszeit hinaus geben müsse. Da die Ausbildung insgesamt nicht thematisiert wurde, bleiben auch diese Themen offen und stehen damit nicht auf der offiziellen Agenda der Bundesregierung.

Weitere Themen

Das Wohl von Menschen mit psychischen Erkrankungen liegt der neuen Bundesregierung am Herzen, so plant sie neben der Verbesserung ihrer Versorgung auch eine bundesweite Aufklärungskampagne zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen (S. 86).

Bürokratieabbau steht für viele verschiedene Bereiche als wichtiges Thema auf der Agenda der neuen Bundesregierung. Es ist erfreulich, dass er auch im Kontext des Gesundheitswesens explizit benannt ist: „Wir überprüfen das SGB V und weitere Normen hinsichtlich durch technischen Fortschritt überholter Dokumentationspflichten. Durch ein Bürokratieabbaupaket bauen wir Hürden für eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten ab. Die Belastungen durch Bürokratie und Berichtspflichten jenseits gesetzlicher Regelungen werden kenntlich gemacht.“ (S. 84).

 

Ece Alitzik Ali und Johanna Thünker

 

Zum Weiterlesen: Artikel im Deutschen Ärzteblatt