Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Stellungnahme des BDP zur elektronischen Patientenakte (ePA) anlässlich des Europäischen Datenschutztages 2024

Der Berufsverband der Psychologinnen und Psychologen nutzt den diesjährigen europäischen Datenschutztag (26. Januar 2024), um die neue elektronische Patientenakte im Licht der Europäischen Datenschutzgrundverordnung zu bewerten.

Psychologinnen und Psychologen üben einen ausgeprägten Vertrauensberuf aus und sorgen sich prinzipiell aus berufsethischen Gründen um den Schutz der ihnen anvertrauten, teilweise sehr intimen Daten, die nicht nur personenbezogen ihrer Klient*innen selbst sind, sondern bisweilen auch zum Beispiel deren Familienangehörige oder Arbeitskolleg*innen betreffen. Solche Daten sind häufig als Gesundheitsdaten über die DSGVO besonders geschützt, aber auch weitere Daten stellt die Berufsgruppe wegen des Privatgeheimnisschutzes, der für sie sogar unter Strafandrohung steht, in der Regel unter ein hohes Datenschutzniveau.

Deshalb bewertet der BDP die kommende elektronische Patientenakte (ePA) und wie damit umzugehen ist, weiterhin kritisch. Am Maßstab des informationellen Selbstbestimmungsrechts gemessen ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, dass alle Patient*innen selbst entscheiden dürfen, ob und inwieweit die ePA befüllt und genutzt wird. Aber die Kehrseite dieser Entscheidungsfreiheit ist auch die gefühlte Obliegenheit, sich als Patient*in selbst darum kümmern zu müssen und auch in der Lage zu sein, die Vor- und Nachteile zu überblicken. Mit den beiden neuen Gesetzen (GDNG und Digi-G) wurde die neue Opt-out-Regelung festgelegt: ohne aktiven Widerspruch werden umfassend Gesundheitsdaten in der ePA gespeichert. Einerseits wird dabei wertgeschätzt, dass die meisten Betroffenen nicht nur für berechtigt, sondern auch für befähigt gehalten werden, selbst entscheiden zu können, ob sie aktiv z. B. einer Datenspeicherung widersprechen. Andererseits werden aber auch diejenigen wenig geschützt, die aus gesundheitlichen, kognitiven, sprachlichen oder sonstigen Gründen mit der Nutzung eines „aktiven“ Widerspruchrechtes überfordert sind. Für diese Gruppe ist der Verbraucher*innen- und Patient*innenschutz schwach. Pointiert formuliert wird diese Überforderung mit Opt-out billigend in Kauf genommen.

Vor diesem Hintergrund verdient die Verhältnismäßigkeit von Risiken und Vorteilen der ePA weiterhin eine laufende kritische Bewertung, primär im politischen und gesellschaftlichen Diskurs, aber auch im Einzelfall, wenn Psychotherapeut*innen mit der ePA arbeiten und mit ihren Patient*innen darüber sprechen. Ohne Zweifel sind Gesundheitsdaten nicht nur in der Behandlung, sondern auch für die Forschung wichtig. Nichtsdestotrotz ist bedenklich, dass die ePA nicht nur ein Container für Gesundheitsdaten ist, sondern prinzipiell in ihrer Gesamtheit und dann zunehmend zu einem großen, hochsensiblen Gesundheitsdatenprofil heranwächst. Für Nach- und Weiterbehandlungen mag es noch vertretbar erscheinen, dieses Profil aufzubauen, für weitere Nutzungen muss aber betont werden, dass die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit sehr hoch sein müssen. Die Schutzbedürftigkeit eines solchen Profils kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, wenn man bedenkt, dass die ePA fast zum Persönlichkeitsprofil heranwächst, zumal wenn mit Daten aus der Psychotherapie auch Systeme wie Familien oder Arbeitsumfeld dokumentiert erfasst sind.

Deshalb hat der BDP schon im Gesetzgebungsprozess dafür geworben, die ePA-Befüllung und deren Nutzung nicht nur unter einen technischen Datenschutz zu stellen, sondern auch den Grundsatz der Datensparsamkeit zu berücksichtigen. Nur blass ist dieser Ansatz in den beiden neuen Gesetzen zu erkennen: So wurde geplant, die ePA mit strukturierten Daten zu befüllen, weil diese besser ermöglichen, nicht primär Gesundheitsprofile zu nutzen, sondern Gesundheitsdaten, die wegen der Struktur getrennt und zwecks Anonymisierung aggregiert werden können. In ersten Veröffentlichungen aus Politik und von Krankenkassen ist mit Sorge zu sehen, dass dieser Ansatz kaum Erwähnung findet, sondern die Patient*innen ermuntert werden, selbst für die Befüllung mit unstrukturierten Daten zu sorgen. Dabei beschleicht das Gefühl, dass das Anpreisen der Datenverfügbarkeit für die Patient*innen selbst scheinheilig ist. Viel zu attraktiv ist es für Krankenkassen, Forschung, Wirtschaft und weitere Interessenten, mit diesen Daten zu arbeiten, sie schon mal vorsorglich in der ePA gespeichert zu wissen um sie dann später für Forschung verfügbar zu haben.

Dieser Aspekt ist besonders im Hinblick auf aktuelle Europäische Richtlinienentwürfe EHDS kritisch zu sehen. Denn nach diesen sollen gespeicherte Gesundheitsdaten frei und kostenlos für „jedwede“ Forschung verfügbar sein, also auch für unwissenschaftliche, kommerzielle und rein gewinnorientierte Forschung. Durch die aktuellen nationalen Gesetzgebungen besteht hier noch ein Schutz (Verpflichtung zur Gemeinwohlorientierung) – dieser Schutz ginge verloren bei Umsetzung aktueller „übergreifender“ Europäischer Entwurfsvorlagen! Gerade deswegen muss aber das Ausbauen als Gesundheitsdatenprofil sehr vorsichtig erfolgen. Es gilt „Anonymisierung first“ und im ersten Schritt sollten sich das System und seine Beteiligten selbst darauf beschränken, strukturierte Datenkategorien zu definieren, die sich leicht anonymisieren und aggregieren lassen, insbesondere was Psychotherapie-Daten angeht. Sonst ist zu befürchten, dass später dann doch hochsensible Persönlichkeitsprofile in Form der ePA „die Runde machen“.

Es ist deshalb angemessen, wenn Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen in der individuellen Beratung ihrer Patient*innen über die Vor- und Nachteile der ePA bzw. ihrer Befüllung mit Psychotherapiedaten eine gewisse Skepsis zeigen.

Auf der Ebene der europäischen Gesetzgebung ist es darüber hinaus zwingend erforderlich, nationale Regularien zum Gesundheitsdatenschutz zu erhalten - z.B. Widerspruchsrechte über das Opt-out und Schutzfaktoren vor einer „missbräuchlichen" Forschungsdatenfreigabe. Auch eine Publikationspflicht für Forschungsergebnisse unter Verwendung der neuen „Gesundheitsdatenpools“ sollte umgesetzt werden.

Hier finden Sie die Stellungnahme zu Download.

Ihre Ansprechpersonen:

Susanne Berwanger, Vizepräsidentin
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Jan Frederichs, Justiziar des BDP
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