Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Assistierter Suizid

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Am 26.02.2020 urteilt das Bundesverfassungsgericht, dass allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf einen selbstbestimmten Tod inkl. dem Recht die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen umfasst. Das 2015 mit dem Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ins Strafgesetzbuch eingefügte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 Abs. 1 StGB) macht es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Folglich muss der Bundesgesetzgeber den entsprechenden Paragraphen ändern.

Ausbau der Hilfsangebote für Suizidgefährdete

Zahlreiche Organisationen, darunter die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin fordern einen Ausbau der Suizidprävention (Pressemitteilung), Suizidprävention muss der Regelfall, assistierter Suizid die Ausnahme bleiben (Eckpunktepapier). Ein entsprechender Brief ans Bundesministerium für Gesundheit wurde von zahlreichen Organisationen, darunter dem BDP mitgetragen.

Reaktionen aus der Ärzteschaft

Das bislang in § 16 Satz 3 der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer enthaltene ausdrückliche Verbot ärztlicher Suizidhilfe wurde mit Beschluss des Deutschen Ärztetages vom 5. Mai 2021 aufgehoben. Nichtsdestotrotz betonte die Ärzteschaft, dass Hilfe zur Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe sei. Es könne niemals Aufgabe der Ärzteschaft sein, für Nichterkrankte eine Indikation, Beratung oder gar Durchführung eines Sterbewunsches zu vollziehen. Das Ärzteparlament forderte ferner den Gesetzgeber auf, die Suizidprävention in Deutschland in den Fokus zu nehmen, zu unterstützen, auszubauen und zu verstetigen (weiterlesen).

Orientierungsdebatte im Bundestag

Am 21.04.2021 fand eine erste orientierende Debatte im Deutschen Bundestag statt – ohne konkrete Vorlagen und mit insgesamt 38 Redebeiträgen. Dabei wurden die sehr unterschiedlichen Haltungen der Abgeordneten deutlich, aber auch Klärungsbedarf: geht es beispielsweise um „Suizidhilfe“ für alle Suizidwilligen oder um „Sterbehilfe“ sterbenskranker? Prof. Dr. Lars Castellucci (SDP) äußerte, er respektiere die freiwillig getroffene Entscheidung, sich das Leben zu nehmen und auch, dass dafür die Hilfe anderer in Anspruch genommen werden kann. Aber daraus dürfe kein Modell gemacht werden. Gleichzeitig müsse darauf geachtet werden, dass gesellschaftlich nicht noch mehr „ins Rutschen gerate“. Deshalb sei er für Schranken, die man auch im Strafrecht setzen müsse.

Erste Gesetzesentwürfe

Castellucci ist es auch, der zusammen mit weiteren Politikerinnen und Politikern verschiedener Fraktionen im März 2022 einen ersten Entwurf eines Gesetztes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung einreicht. Dieser Entwurf war auch Gegenstand einer sachlichen Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag am 18.05.2022. Ein zweiter Entwurf für ein Gesetz zur Regelung der Suizidhilfe folgte im April, hier war Katrin Helling-Plahr (FDP) federführend, wohl prominentester Unterstützer des Entwurfs ist Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Welcher Gesetzentwurf will was?

Beide Gesetzentwürfe beziehen sich grundsätzlich auf den Auftrag des Bundesverfassungs­gerichts von Februar 2020 und beschäftigen sich mit dem Spannungsfeld zwischen Freiverantwortlichkeit auf der einen und Schutz des Lebens auf der anderen Seite.

Der erste Entwurf von Castellucci et al. vom 03.03.2022 zielt dabei auf die Änderung und Erweiterung des bestehenden Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ab. Die Autorinnen und Autoren betonen dabei: „Im Übrigen soll einer gesell­schaft­lichen Normalisierung der Selbsttötung entgegengewirkt werden.“ Die Lösung soll ein Gesetz sein, welches ein „abgestuftes und ausgewogenes Schutzkonzept“ beinhaltet und den besonders sensiblen Bereich der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung regelt. Der Gesetzgeber müsse gesellschaftlichen Einwirkungen entgegentreten, die als Pressionen wirken können und das Ausschlagen von Suizidangeboten rechtfertigungsbedürftig erscheinen lassen (vgl. S. 2). Die Lösung soll sein: Für einen wirksamen generalpräventiven Schutz der Freiverantwortlichkeit soll die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe gestellt bleiben (§ 217 Abs. 1 StGB bliebe unverändert), ergänzend zu den bisher in Abs. zwei geregelten Ausnahmen (nicht-geschäftsmäßige Handlung nahestehender Personen bzw. Angehöriger) soll ein neuer Absatz eingefügt werden, zum weitere Ausnahmen zu regeln: Bei volljährigen, einsichtsfähigen Personen soll es zwei Begutachtungen durch einen Facharzt/eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Abstand von drei Monaten geben sowie eine umfassende, ergebnisoffene Beratung mit einem „auf die Situation des/der Betroffenen angepassten interdisziplinären Ansatz“, die Selbsttötung soll dann frühestens zwei Wochen nach dem letzten Gespräch stattfinden können (vgl. § 217 Abs. 2 NEU im Entwurf). Sollte die Lebens­erwartung aufgrund einer weit fortgeschrittenen Erkrankung stark begrenzt sein, könne im Einzelfall ein einziger Untersuchungstermin ausreichend sein. Weiter heißt es: „Um der gesellschaftlichen Normalisierung der Hilfe zur Selbsttötung wirksam entgegenzuwirken, ist flankierend ein strafbewehrtes Verbot für bestimmte Formen der Werbung der Hilfe zu Selbsttötung vorgesehen.“, hierfür wird ein neuer Paragraph 217a vorgeschlagen, dieser schließt die Information an Ärztinnen und Ärzte oder beratende Stellen darüber, welche Personen und Einrichtungen Hilfe zur Selbsttötung anbieten, Veröffentlichungen in Fachblättern oder der bloße Hinweis darauf, dass Hilfe zur Selbsttötung angeboten wird, nicht aus (vgl. Debatte zum Werbeverbot bei Schwangerschaftsabbrüchen).

Um die Umsetzung der Förderung der Selbsttötung unter o. g. Voraussetzungen zu ermöglichen, müsse außerdem das Betäubungsmittelgesetz geändert werden. § 13 Abs. 1 Satz 2 des BTMG, welcher die Überlassung von Medikamenten an Patientinnen und Patienten regelt, soll ergänzt werden um: „Die Anwendung ist begründet, wenn die Voraussetzungen des § 217 Absatz 2 des Strafgesetzbuches erfüllt sind.“

In der Begründung des Gesetzentwurfes wird ausgeführt, dass infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02, ist die Suizidhilfe in Deutschland im Grundsatz grundsätzlich erlaubt sei. Nichtsdestotrotz bleibt die Hilfe bei einem nicht-freiverantwortlichen Suizids weiterhin strafbar, ebenso das Zwingen oder Täuschen des Suizidenten. Auch § 216 StGB zur Tötung auf Verlangen soll unberührt bleiben, da es sich dabei um eine Fremdtötung handelt (S. 8, vgl. auch juristische Stellungnahme). Ferner weisen die Autorinnen und Autoren darauf hin, dass nach den Erkenntnissen der Suizidforschung nur bei einem geringen Anteil der Menschen mit Suizidgedanken ein freiverantwortlicher Entschluss zur Selbsttötung vorliege – ohne sich dabei auf konkrete Quellen zu beziehen. Diesem Personenkreis sei die Inanspruchnahme der Hilfe auch geschäftsmäßig handelnder Personen oder Vereinigungen ermöglichen.

Als theoretische Alternativen stünde die Beibehaltung der ungeregelten Rechtslage nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Debatte, damit würde man aber der staatlichen Schutzpflicht für die Autonomie der Entscheidung nicht gerecht, das gelte auch für eine reine Beschränkung auf eine Regelung der Feststellung der Freiverantwortlichkeit und des Sterbewunsches (vgl. S.10).

Der zweite Gesetzentwurf von Helling-Plahr et al. knüpft in der Problemdefinition an die Beweggründe an, die 2015 zur Einführung des § 217 geführt hat: „Mit der neuen Strafandrohung sollte vor allem gewinnorientierten Ausformungen von Sterbehilfevereinen und Einzelpersonen ihre Handlungsgrundlage entzogen werden, bei denen der Gesetz- geber vermutete, dass ihre Hilfeleistung eher durch den Wunsch nach Gewinnmaximierung denn durch altruistische Motive, durch Mitgefühl und Menschlichkeit geprägt sei“. Der vorliegende Gesetzentwurf soll das Recht auf einen selbstbestimmten Tod legislativ absichern und klarstellen, dass die Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist (S. 2). In § 1 soll festgehalten werden, dass jeder der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben beenden möchte, das Recht hat, hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen. § 2 soll regeln, dass jeder Hilfe leisten darf, niemand dazu verpflichtet werden kann, es kein Verbot qua eines bestimmten Berufes geben darf. § 3 befasst sich – wie auch schon der andere Entwurf – mit dem autonom gebildeten, freien Willen.

§ 3 Autonom gebildeter, freier Wille
(1) Ein autonom gebildeter, freier Wille setzt die Fähigkeit voraus, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können. Es ist davon auszugehen, dass eine Person regelmäßig erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres die Bedeutung und Tragweite einer Suizidentscheidung vollumfänglich zu erfassen vermag.

(2) Dem Suizidwilligen müssen alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte bekannt sein. Erforderlich ist, dass er über sämtliche Informationen verfügt, die ihn befähigen, auf einer hinreichenden Beurteilungsgrundlage realitätsgerecht das Für und Wider abzuwägen. Dies setzt insbesondere voraus, dass der Suizidwillige Handlungsalternativen zum Suizid kennt, ihre jeweiligen Folgen bewerten kann und seine Entscheidung in Kenntnis aller erheblichen Umstände und Optionen trifft.
(3) Von einem autonom gebildeten, freien Willen ist nur auszugehen, wenn der Entschluss zur Selbsttötung ohne unzulässige Einflussnahmen oder Druck gebildet worden ist.
(4) Von einem autonom gebildeten, freien Willen kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Entschluss von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit getragen ist.

Identisch zum Entwurf von Castellucci et al. wird Volljährigkeit und Entscheidungsfähigkeit voraus­gesetzt, allerdings als mögliches Ausschlusskriterium auch eine akute psychische Störung genannt. Bezüglich Beratung, den Schutz vor Beeinflussung Dritter, Dauerhaftigkeit und Festigkeit des Willens geht der Entwurf in die gleiche Richtung, konkretisiert allerdings nur das Beratungsangebot (vgl. § 4), welches ergebnisoffen sein soll, aber in jedem Fall absolviert werden muss. Weitere Begutachtungen etc. werden nicht beschrieben, § 4 Abs. 7 lautet allerdings: „Hat die beratende Person begründete Zweifel daran, dass die beratene Person aus autonom gebildetem, freiem Willen heraus in Betracht zieht, sein Leben zu beenden, hat sie dies auf der Bescheinigung zu vermerken.“ Die Dauerhaftigkeit des Willens soll dadurch sichergestellt werden, dass das Beratungsgespräch mind. 10 Tage und höch­stens acht Wochen her ist (§ 6 Abs. 3).

Die Autorinnen und Autoren haben sich umfassende Gedanken zu den Beschaffenheiten der Beratungs­angebote gemacht, die in § 5 geregelt sind. Dazu gehört, dass die Beratung wohnortnah und bei Bedarf aufsuchend verfügbar sein muss und einer besonderen staatlichen Anerkennung bedarf. Zum Grundberuf der primär beratenden Person werden keine Angaben gemacht, eine Beratungsstelle muss aber sicherstellen, dass zur Durchführung der Beratung erforderlichenfalls kurzfristig eine ärztlich, fachärztlich, psychologisch, sozialpädagogisch, sozialarbeiterisch oder juristisch ausgebildete Fachkraft hinzugezogen werden kann. Die Unabhängigkeit zu Einrichtungen oder Personen, die Suizidhilfe anbieten, muss gewährt bleiben.

In § 6 Abs. 1 wird die Verschreibung des Arzneimittels zum Zweck der Selbsttötung geregelt. Ärztinnen und Ärzte sollen demnach die notwendigen Medikamente verschreiben dürfen. Allerdings scheint in diesem Gesetzentwurf die finale Entscheidung, ob ein tötliches Medikament ausgehändigt wird, bei der verordnenden Ärztin/beim verordnenden Arzt zu liegen, denn: „Der Arzt ist verpflichtet, sämtliche für die Beurteilung des autonom gebildeten, freien Willens zur Lebensbeendigung wesentlichen Gesichtspunkte, insbesondere auch seine Aufklärung des Suizidwilligen nach Absatz 2 zu dokumentieren. Die Beratungsbescheinigung nach § 4 Absatz 7 ist zur Dokumentation zu nehmen.“ (§ 6 Abs. 5). Ferner soll der Prozess evaluiert werden (§ 7).

Die notwendigen Änderungen im BTMG sind analog zu denen im Entwurf von Castellucci et al., außerdem werden notwendige Ergänzungen von § 203 StGB benannt.

Vorstand VPP und Dr. Johanna Thünker