Lange wurde darauf gewartet, nun hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 20. März 2023 zu zwei Musterklagen entschieden. Auch der VPP hatte in diesem Gerichtsverfahren Stellung genommen. Inzwischen liegt die Begründung des Gerichts vor. Die Beschwerde bezog sich auf zwei Abrechnungsquartale, die rund zehn Jahre zurück liegen, nämlich die Quartale 1 und 2 anno 2013. Bezüglich zumindest dieser beiden Quartale war die Verfassungsbeschwerde erfolgreich.
Allerdings legt das Bundesverfassungsgericht auch Wert auf die Fokussierung auf diese beiden Quartale. Denn bezüglich dieser beiden streitgegenständlichen Quartale (und einigen nachfolgenden Quartalen, über die das Bundesverfassungsgericht aber nicht explizit entschieden hat) hatte der Erweiterte Bewertungsausschuss erst am 22.9.2015 und damit rückwirkend die Strukturzuschläge eingeführt. Es ist insbesondere dieser Umstand der Rückwirkung, der den Beschwerdeführern zum Erfolg verholfen hat.
Denn das BVerfG kritisiert, dass die Steuerungswirkung, mit der die Konstruktion des Strukturzuschlags als Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit und die ungleiche Vergütung gleicher Psychotherapieleistungen begründet worden ist, rückwirkend gar nicht funktionieren kann.
Das BVerfG unterscheidet, dass der Strukturzuschlag einerseits von der Menge aber andererseits auch von der Art der psychotherapeutischen Leistung abhängig sei. "Zunächst werden Psychotherapeuten unterschiedlich behandelt, die weniger als die erforderliche Mindestpunktzahl pro Quartal ansammeln... ". Weiter: "Die Zuschlagsregelungen führen schließlich aber auch zu einer Besserstellung von Psychotherapeuten, die nur oder überwiegend antrags- und genehmigungspflichtige Leistungen erbringen, gegenüber denjenigen, die häufiger auch andere Leistungen erbringen, ohne dabei als voll ausgelastet zu gelten."
Außerdem unterscheidet das BVerfG beim Strukturzuschlag zwischen dem Refinanzierungszweck und dem Steuerungszweck.
Unter Betonung auf diese beiden Zweiteilungen legt das BVerfG sodann den Maßstab an, ob die Grenzen des Gestaltungsspielraums eingehalten sind und konzentriert sich gleich auf den Umstand der Rückwirkung: Hier sei der Überprüfungsmaßstab angehoben, weil für die Betroffenen insoweit Differenzierungskriterien nicht mehr verfügbar seien. Das BVerfG meint allerdings, dass diese Nichtverfügbarkeit nur für die Art der Leistung, nicht für die Menge unverhältnismäßig sei. Bezogen auf die Menge der Leistungen sei hingegen die Rückwirkung verhältnismäßig, weil bereits der verfolgte Refinanzierungszweck die Ungleichbehandlung rechtfertige. Dies wird in der Urteilsbegründung näher ausgeführt.
Die Verfassungswidrigkeit betrifft also in der Entscheidung keineswegs den Strukturzuschlag generell, sondern sehr zugespitzt erstens nur dessen Abhängigkeit von der Art der Leistungen, zweitens bezogen auf diese nur die Steuerungswirkung und wiederum nur bezogen auf diese Schnittmenge drittens nur die Rückwirkung. Für den Erfolg der Beschwerden hat das ausgereicht.
Leider gar nicht erst behandelt hat das BVerfG die zusätzliche Rüge der Beschwerdeführer, dass die Gruppe der Psychotherapeut:innen gegenüber anderen Facharztgruppen nicht gerechtfertigt ungleich behandelt seien: Teilweise sei das weder im Instanzenzug thematisiert gewesen, noch habe eine ausreichende Begründung vorgelegen. Obwohl das leider nicht überrascht und wohl mehr auch nicht zu machen war, bleibt es bedauerlich, dass die seltene Gelegenheit verfassungsgerichtlicher Befassung nicht für die Gegenüberstellung der Facharztgruppen genutzt werden konnte. So bleibt ärgerlicherweise ein wesentlicher Ansatz der Honorarberechnung für PP/KJP, dass diese Arztgruppe mit typisierter Vollauslastung nur mit dem Durchschnitt anderer Arztgruppen verglichen zu werden braucht. Dieser Ansatz wurde leider auch vom BSG bisher nur "durchgewunken" und kaum hinterfragt und begründet worden.
Man könnte nun meinen, nach zehn Jahren sei das nun geklärt. Allerdings wird wieder an das Bundessozialgericht zurückverwiesen. Dieses muss über die zwei genannten Quartale entscheiden aber es besteht die Hoffnung, dass es zumindest in der Begründung andeutet, dass die Rechtswidrigkeit des Beschlusses auch für die Folgequartale gilt, so dass der Bewertungsausschuss dann gleich mindestens bis zum Quartal III/15 vielleicht sogar noch weitere entscheidet.
Wie sich das auf diejenigen zugelassenen PP/KJP, die für mindestens die beiden Quartale, möglicherweise auch die nachfolgenden Widerspruch eingelegt haben, auswirken wird, bleibt noch offen und wird vermutlich auch wiederum noch eine Weile dauern. An dieser Stelle soll nicht vorschnell darüber spekuliert werden.
Hier finden Sie das Urteil des BVerfG.
Hier finden Sie unsere Stellungnahme an das BVerfG 2019.
Jan Frederichs Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt)
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.
Bundesgeschäftsstelle Am Köllnischen Park 2, 10179 Berlin