Berlin, 4.7.2024
Der Referentenentwurf wird vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) und insbesondere seinen Sektionen Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VPP im BDP) und Klinische Psychologie begrüßt. Unklarheiten in der Anwendung des § 630g BGB und der Anwendung der DSGVO gibt es schon länger, die Rechtsprechung des EuGH vom 26.10.2023 legt nun eine Novelle des § 630g BGB nahe. Auch die Vererblichkeit von Entschädigungsansprüchen bei dieser Gelegenheit zu regeln, erscheint plausibel, um nicht prozessverzögernde Taktiken zu belohnen.
Der BDP gibt aber zu bedenken, dass die vom EuGH entschiedene Unentgeltlichkeit einer ersten Abschrift bundesgesetzlich nicht zum Anlass genommen wird, die den Behandelnden entstehenden Kosten anderweitig, z. B. in der GOÄ oder in Kostenregelungen mit den gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des SGB V, zu berücksichtigen. Der Arbeitsaufwand der Erstellung der Photokopie oder Abschrift einer umfangreicheren Patient*innenakte müsste für Behandelnde z. B. durch eine gesonderte Abrechnungsziffer abgebildet werden. Scheinbar selbstverständlich wird unterstellt, dass solche Aufwände irgendwie abgegolten seien. Das ist vor dem Hintergrund zunehmender Kosten für Digitalisierung, kürzer werdenden Innovationszyklen und schleppendem Bürokratieabbau nicht selbstverständlich. Dieser Gesetzesentwurf sollte für einen Kostenausgleich durch Kostenträger Regelungen enthalten bzw. Vorschläge formulieren.
Zum Referentenentwurf im Einzelnen:
- Zu § 630g Abs.1 BGB-RefE
Die Begriffe „Recht nach Art 15 DSGVO“ auf eine (erste) Kopie und Datenauskunft, „Anspruch auf Akteneinsicht“ und „Anspruch auf eine Abschrift“ erscheinen in Hinblick auf die Anwendbarkeit der Begründungspflicht des § 630g Abs.2 Satz 2 BGB-RefE auf eine eventuell nötige Differenzierung zwischen digitaler Kopie oder gegenständlicher Photokopie bzw. Abschrift und infolgedessen auf die Zulässigkeit einer Kostenberechnung noch nicht selbsterklärend. Das lässt sich aber ggf. auch ohne Änderung des geplanten Gesetzestextes in der Begründung erläutern. Dort findet sich bereits der Hinweis, dass „Anspruch auf Akteneinsicht“ ein Oberbegriff auch für eine Abschrift sei und nicht neben der Abschrift nur die Einsichtnahme bzw. Inaugenscheinnahme beträfe; dann allerdings ergeben sich Fragen zu § 630g Abs.1 Satz 5 BGB-RefE in Hinblick auf das in Bezug genommene EuGH-Urteil. Es erscheint weiterhin verunsichernd, die Begriffe Kopie und Abschrift zu differenzieren. - In der Begründung wird die „Einsichtnahme“ – wohl ohne gezielten Zweck – mit „am Ort des Behandelnden“ (Seite 11 Mitte) verbunden. Hier wird angeregt, dieses Attribut zu streichen. Denn eine Notwendigkeit, die Original-Patientenakte nur in den Praxisräumen einzusehen, besteht nicht. Es wäre z. B. bei Patient*innen, die die Behandelnden als stalkend erleben, möglich, die Einsichtnahme in einer beauftragten Kanzlei oder in einem beauftragten Notariat zu gewährleisten.
- Zu § 630g Abs.2 BGB-RefE „sonstige erhebliche Rechte Dritter“
a.„Dritte“ und Behandelnde
Der RefE übernimmt mit den „Rechten Dritter“ die bisherige Fassung aus § 630g BGB. Das war schon im Gesetzgebungsprozess des Patientenrechtegesetzes 2012/2013 nicht bedeutungslos und auch nicht unumstritten. Es sei daran erinnert, dass seinerzeit die erste Fassung des Gesetzentwurfs von „entgegenstehenden Rechten“ ausging und erst in der Ausschussfassung die heutige Formulierung „Rechte Dritter“ gefunden wurde. Es war sehr wahrscheinlich vor dem Hintergrund vorangegangener, teils höchstrichterlicher Rechtsprechung die nachvollziehbare Absicht, eine „subjektive“, der Einsicht durch die Patient*innen nicht zugänglichen Akte auszuschließen; deswegen sind die Behandelnden als „Zweite“ und ihre Persönlichkeitsrechte exkludiert.
Das ist bei den Psychotherapeut*innen allerdings auf Kritik gestoßen. Denn eine völlige Unbeachtlichkeit jeglicher Persönlichkeitsrechte der Behandelnden schießt über das Ziel hinaus und war in der Rechtsprechung zuvor auch nicht initiiert worden. Es sei auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verwiesen, die kurz nach dem Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes erging und in der die Persönlichkeitsrechte der Lehranalytikerin für nicht gänzlich unbeachtlich gehalten worden sind (Az. III ZR 54/13 vom 07.11.2013).
Die Kritik der Psychotherapeut*innen hat in der Folge zu der bemerkenswerten, noch heute gültigen Fassung des § 11 Abs.2 Satz 2 der Musterberufsordnung der Psychotherapeut*innen geführt:
„Nimmt der*die Psychotherapeut*in ausnahmsweise einzelne Aufzeichnungen von der Einsichtnahme aus, weil diese Einblick in seine*ihre Persönlichkeit geben und ihre Offenlegung sein*ihr Persönlichkeitsrecht berührt, stellt dies keinen Verstoß gegen diese Berufsordnung dar, wenn und soweit in diesem Fall das Interesse des*der Psychotherapeut*in am Schutz seines*ihres Persönlichkeitsrechts in der Abwägung das Interesse des*der Patient*in an der Einsichtnahme überwiegt.“
Die Fortführung der bisherigen Formulierung ist aber auch angesichts der vorrangigen Regelung des Art 15 Abs.4 DSGVO zweifelhaft, denn dort gilt die Einschränkung wegen Rechte und Freiheiten „anderer Personen“ und nicht nur „Dritter“ i.S.d. Art 4 Nr. 10 DSGVO, wie der Begriff wohl auch im PatRG und im vorliegenden Referentenentwurf verstanden wird. Damit werden im Referentenentwurf Rechte und Freiheiten der Be-handelnden anders als in der DSGVO grundsätzlich nicht berücksichtigt.
Es sei ergänzt, dass im Referentenentwurf auf Seite 11 unten bereits die DSGVO-Formulierung der „Rechte und Freiheiten anderer Personen“ und nicht nur „Dritter“ genutzt worden ist.
b.Sonstige „erhebliche“ Rechte
Die Erheblichkeitsschwelle ist schon seit 2013 gesetzlich enthalten. „Erheblich“ wurde aber weder legal definiert noch im Gesetzgebungsverfahren zum Patientenrechtegesetz 2012/2013 näher begründet. Deshalb wird begrüßt, dass im aktuellen RefE im Begründungsteil auf Seite 12 eine Passage eingefügt worden ist, die sinnvoll verdeut-licht, dass die Einschränkung auf Erheblichkeit zur seltenen Ausnahme führt.
Zwar stellt sich auch hier die Frage, ob die Erheblichkeitsschwelle eine Abweichung von Art 15 Abs.4 DSGVO ist und ob das ggf. im nationalen Recht als Abweichung zulässig ist. Aber da sie offenbar bisher nicht für bedenklich gehalten worden ist, plädiert auch der BDP dafür, sie weiterhin im Gesetzestext zu belassen. Um aber auch die Rechte der Behandler*innen nicht gänzlich auszuschließen, sei folgende Gesetzesformulierung vorgeschlagen.
§ 630g Abs.2 BGB-RefE Alternativvorschlag BDP Die Rechte nach Absatz 1 und nach Artikel 15 Absatz 1 und 3 der Verordnung (EU) 2016/679 bestehen nicht, soweit dem Anspruch des Patienten auf Auskunft über den Inhalt der ihn betreffenden Patientenakte erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Die Ablehnung der Einsichtnahme ist zu begründen. Die Rechte nach Absatz 1 und nach Artikel 15 Absatz 1 und 3 der Verordnung (EU) 2016/679 bestehen nicht, soweit dem Anspruch des Patienten auf Auskunft über den Inhalt der ihn betreffenden Patientenakte erhebliche therapeu-tische Gründe entgegenstehen oder sonstige erhebliche Rechte anderer Personen Dritter entgegenstehen erheblich überwiegen. Die Ablehnung der Einsichtnahme ist zu begründen.
c.„die ihn betreffende“ Patientenakte ist eine im Vergleich zur bisherigen Fassung neue Ergänzung. Da dies in Bezug auf das Begriffspärchen „Patient und Patientenakte“ überflüssig erscheint, wäre es wünschenswert in der Begründung zu erfahren, ggf. welcher Sachverhalt ausgegrenzt werden soll (der nicht ohnehin offensichtlich exkludiert ist).
Gerne stehen wir für Fragen und Anregungen zur Verfügung.
Ihre Ansprechpersonen:
Susanne Berwanger
Vizepräsidentin Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen
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Jan Frederichs
Justiziar des BDP
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Die Stellungnahme zum Download.
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