Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

VPP-Kommentar zum § 92 „Berufsgruppenübergreifende Versorgung psychisch schwer Erkrankter“

Zur Rolle Psycholog. Psychotherapie bei der nach §92 6b bis Ende 2020 zu regelnden berufsgruppenübergreifenden, koordinierten Versorgung schwer und komplex psychisch Erkrankter (vorheriger heftig umstrittener sogn. Regulationsparagraph):

Hier sollte den ambulant und stationär tätigen psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten eine zentrale koordinierende Rolle eingeräumt werden. Aufgrund der geforderten Leitliniengerechtigkeit müssen psychotherapeutischen Interventionen eine zentrale Bedeutung zukommen.

Medizinisch-somatisch und medikamentös orientierte Behandlungsstrukturen dürfen nicht alleine federführend sein. Dies entspräche einem veralteten und nicht an einem an internationalen aktuellen Leitlinien orientierten Behandlungsverständnis. Der europaweit einzigartigen, hoch qualifizierenden Ausbildung im Rahmen der psychologisch-psychotherapeutischen Heilkunde muss Rechnung getragen werden. Kommt es in den neuen gesetzlichen Entwürfen zu einer Hierarchisierung in der Form, dass ärztlichen Behandelnden die alleinige Koordination und Zugangsbestimmung für diesbzgl. Versorgungsstrukturen zugewiesen wird, wäre die alte und verhinderte Form des Regulationsparagraphen „über die Hintertür“ wieder eingeführt worden!

Eine integrierte Versorgung komplex Erkrankter befürworten wir prinzipiell sehr: Hier gibt es etliche Verbesserungsmöglichkeiten:

  1. Bessere Übergänge von stationärer in ambulante Behandlung (und umgekehrt) sollten umgesetzt werden (z.B. durch Probatorik in den Räumen der Kassenpraxis - noch während des stationären Aufenthaltes).
  2. Ambulante Strukturen zur Krisenintervention sollten sinnvoll ausgebaut werden, z.B. mit Möglichkeiten einer Präsenz-Betreuung am Wochenende oder einer kurzfristigen Übernachtbetreuung. Diese Strukturen sollten innerhalb der ambulanten oder stationären Psychotherapie koordinierbar sein können.
  3. Für aufsuchende psychotherapeutische Interventionen (z.B. bei schizophren erkrankten, desorganisierten Personen) müssten sinnvolle Abrechnungsziffern ermöglicht werden, um Anreize für Praxen zu schaffen. Da ein gründlicher und regelmäßiger Austausch mit den benachbarten Berufsgruppen wichtig ist, sollten auch hier Abrechnungsziffern und Strukturen (z.B. für einen regelmäßigen „Runden Tisch“ mit allen Beteiligten) eingeführt werden.
  4. Im Kinder- und Jugendlichenbereich sollten bessere Schnittstellen zwischen Schule und ambulanter Therapie gefördert werden (z.B. auch hier durch Abrechnungsziffern betreffend Interventionen in der Schule). Flexible ambulante Beschulungs-möglichkeiten sollten erkrankte Kinder und Jugendliche zuhause unterstützen, die nicht in der Lage sind, die Schule zu besuchen.

Susanne Berwanger, Vorstand VPP

Anhang:
§ 92 SGB 5 - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)
(6b) Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt bis spätestens zum 31. Dezember 2020 in einer Richtlinie nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 Regelungen für eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung, insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit einem komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann dabei Regelungen treffen, die diagnoseorientiert und leitliniengerecht den Behandlungsbedarf konkretisieren. In der Richtlinie sind auch Regelungen zur Erleichterung des Übergangs von der stationären in die ambulante Versorgung zu treffen.