Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Beim BSG anhängig: Wieviel ist eine psychotherapeutische Kassenpraxis wert?

Darüber ist schon mehrfach berichtet worden und aktuell gibt es mitzuteilen, dass diese Frage inzwischen beim Bundessozialgericht anhängig ist (Az.: B 6 KA 39/10 R), jedoch noch nicht terminiert. Zwei Urteile aus der zweiten Jahreshälfte 2010 sind in diesem Zusammenhang interessant.

Das eine Urteil stammt vom Landessozialgericht Baden-Württemberg, gegen das die oben genannte Revision zum BSG eingelegt worden ist (Urteil vom 20.10.11 Az.: L 5 KA 1323/09). Es ist der vorerst vorletzte Akt in der Rechtsangelegenheit des Zulassungsausschusses Reutlingen aus dem Jahr 2007, die bereits mehrfach Gegenstand von Gerichtsentscheidungen gewesen ist und über die schon mehrfach berichtet worden ist: Nachdem sich Verkäuferin und Käufer über rund 47.000 € vertraglich geeinigt hatten, ließ der Zulassungsausschuss den objektiven Verkehrswert von einem Sachverständigen bestimmen, korrigierte diesen anschließend hinsichtlich des abzuziehenden Unternehmerlohns selbst, kam am Ende auf einen Wert von 2.940 € und beschloss, dass die Verkäuferin trotz anderslautenden Kaufvertrags die Praxis nur zu diesem Wert verkaufen könne. Diese Entscheidung fand zunächst im Eilverfahren die Zustimmung von Sozialgericht und Landessozialgericht. In der Hauptsache blieb nun das LSG in der aktuellen Entscheidung zwar bei seiner kühnen Feststellung, dass der Zulassungsausschuss trotz Vertragsschluss zugunsten des Verkäufers den Kaufpreis auf den objektiven Verkehrswert reduzieren kann, wollte aber die eigenwillige Feststellung des objektiven Wertes durch den Zulassungsausschuss nicht mehr gutheißen und hat die Revision zugelassen.

Auch das zweite Urteil vom OLG München (Urteil vom 22.7.10 Az.: 8 U 5650/09) betrifft einen Vorgang, über den schon häufiger berichtet worden ist: Das LG München hatte einen Kaufpreis in Höhe von 48.000 € wegen Wuchers für sittenwidrig erklärt, weil er mehr als vier mal höher war, als der Wert, den ein vom Gericht beauftragter Gutachter ermittelt hatte. Das OLG hat am 22.7.10 diese Entscheidung jedoch kassiert und den Kaufvertrag hinsichtlich des Kaufpreises von 48.000 € für rechtmäßig erachtet, so dass die Käuferin nun doch diesen Preis bezahlen muss. Das OLG ließ es allerdings dahingestellt, ob objektiver Wert und Kaufpreis der Praxis in einem besonders groben Missverhältnis stehen. Es fehle bereitseine verwerfliche Gesinnung des Verkäufers. Dies begründete das OLG damit, dass die Käuferin den selben Wissensstand des Verkäufers hatte, selbst auch nicht vortrgetragen hatte, welche abweichenden Wertfaktoren sie angenommen hatte und ohnehin eine psychotherapeutische Praxis kein handelsüblicher Gegenstand sei. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

In beiden Entscheidungen zeigen die Gerichte ihre Irritation über die Feststellung des objektiven Verkehrswerts der Praxis. In beiden Sachverhalten gab es in den Feststellungen des Praxiswertes extreme Spreizungen, obwohl mehrere Sachverständige beteiligt waren. Im Reutlinger Fall reichte die angeblich festgestellten Praxiswerte ein und derselben Praxis von 2.940 € bis 53.000 €. Im Münchner Fall reichte die Spannbreite der von den Sachverständigen ermittelten Verkehrswerte gar von 0,00 € bis 57.500 €. Es verwundert deshalb nicht, dass das LSG Baden Württemberg die Revision zugelassen hat.

Das LSG hat im Reutlinger Fall die u.a. bereits auch vom VPP kritisierte Berechnung des in der Ertragswertmethode üblichen Abzugs des sog. Unternehmerlohns für rechtsfehlerhaft erklärt. Mehr noch stellt das LSG aber generell den Abzug des Unternehmerlohns in Frage und schließlich sogar die Ertragswertmethode insgesamt. Das LSG kritisiert, dass variable Größen, die der individuellen Einschätzung des jeweiligen Gutachters unterliegen, eine objektivierbare Bewertung im Ergebnis unmöglich machten. Am Ende der Entscheidung allerdings meint auch das LSG, dass eine exakte Bewertung von Praxen mangels objektivierbarer Kriterien nicht realistisch möglich ist, sondern lediglich ein Anhaltswert ermittelbar ist.

Das BSG wird nun unter anderem zu entscheiden haben, ob zumindest bei psychotherapeutischen Kassenpraxen dieser Anhaltswert mittels Ertragswertmethode einschließlich abzuziehenden Unternehmerlohns anzuwenden ist.
Es wird übrigens auch darüber zu entscheiden haben, ob entgegen der wohl herrschenden Meinung der Zulassungsausschuss nicht nur den objektiven Verkehrswert gegen den Willen des Verkäufers feststellen lassen kann, sondern diesen sogar unter Missachtung der Vertragsfreiheit den Kaufparteien aufzwingen kann.

Jan Frederichs
Rechtsreferent des BDP/VPP