Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach im Praxis-Check der KBV

Am 3. März 2022 stellte sich Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach in einer hybriden Veranstaltung den Fragen der Ärzteschaft. Die Themen reichten von Corona-Pandemie, über Fragen des medizinischen Nachwuchses und der Bedarfsplanung bis hin zur Telematik-Infrastruktur sowie anderen Digitalisierungsthemen. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet.

Dr. Andreas Gassen begrüßt den Minister sowie die Teilnehmenden und geht zunächst auf den Krieg in der Ukraine und verurteilt den Bruch des Völkerrechts durch Putin aufs Schärfste. Auch die Vertreterversammlung der KBV am folgenden Tag würde sich mit dem Thema beschäftigen, insbesondere was die Ärzteschaft beitragen könne. Karl Lauterbach betont, dass er der Einladung sehr gerne gefolgt sei. Dass die Ärzteschaft geschlossene Bereitschaft zu helfen bekundet habe, bedeute ihm sehr viel. Er macht deutlich, dass es enorme Herausforderungen zu bewältigen gibt. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) arbeite hier mit zahlreichen Akteurinnen und Akteuren zusammen, so auch mit der Selbstverwaltung.

Es seien über 500 Fragen zu unterschiedlichen Themen eingegangen, es sei selbstverständlich, dass diese nicht alle erschöpfend beantwortet werden können. Die wichtigsten und häufigsten Fragen wolle man aufgreifen.

Corona Pandemie

Wurde die Belastung der Praxen in der Pandemie übersehen?
Man habe zu keiner Zeit die Belastung der Ärzte übersehen. Dass die Intensivmedizin im Fokus stand, hätte unter anderem am Infektionsschutzgesetz gelegen. Der Minister bedankt sich für den überragenden Einsatz unter anderem im Rahmen der Impfkampagne, an der auch er aktiv teilgenommen hätte.

Wann können wir zur Normalität übergehen?
Wir haben aktuell weiterhin 2,3 Miollionenüber Sechzigjährige, die keinen Impfschutz haben. Diese Zahlen sind in den meisten Nachbarländern deutlich geringer, weswegen sich deren Modelle nicht 1:1 übertragen lassen. Die Lösung war der Drei-Stufen-Plan, über das Auslaufen des Infektionsschutzgesetzes werde verhandelt, er halte aber Basisschutzmaßnahmen weiter für nötig. „Mit 200 Toten pro Tag können wir nicht zufrieden sein“. Für diejenigen, die psychische Probleme haben, biete man „jede Hilfe an, die nötig ist“.

Wie ist es mit dem Impfen?
Karl Lauterbach sei ein klarer Verfechter der Impfpflicht, weil wir anders die Lücke für die große Gruppe der gefährdeten Ungeimpften nicht schließen könnten. Die aktuellen Impfquoten machen deutlich, dass man mit Freiwilligkeit allein nicht zum Ziel komme.

Durch eine Videobotschaft versuchten auch medizinische Fachangestellte dem Minister die Herausfor­derun­gen nach zwei Jahren Pandemie zu verdeutlichen und forderten eine Anerkennung ihrer Leistung ein. Er habe versucht, die Wertschätzung zu zeigen, indem er seine erste Bundespressekonferenz zusam­men mit Dr. Andreas Gassen durchgeführt habe. Während die Impfkampagne schlecht angelaufen sei, sei sie dank der Unterstützung der Niedergelassenen gut vorangegangen. Eine finanzielle Honorierung liege nicht in seiner Hand, das müsse er unter anderem mit dem Finanzminister diskutieren.

Ist darüber nachgedacht, praktisch Tätige aus der Primärversorgung in den Expertenrat aufzunehmen?
Ja, aber man habe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit sehr spezialisiertem Wissen haben wollen. Es sei weniger darauf ausgerichtet gewesen, wie in den Praxen und auf Stationen versorgt wird. Man sei aber andernorts mit Praktikerinnen und Praktikern im Kontakt.

Bedarfsplanung

Dr. Stephan Hofmeister räumt einleitend ein, dass die Psychotherapie bisher ein bisschen vernach­lässigt wurde, die Kolleginnen und Kollegen gehörten aber auch zum vertragsärztlichen System. In einem Einspieler wird auf den sprunghaften Anstieg der Anfragen um 40 Prozent bzw. 60 Prozent bei Kindern hingewiesen. Auch die bisherigen Wartezeiten im Bundesdurchschnitt von 20 Wochen sei unzumutbar.

Was planen Sie, um diesen Zustand zu verändern?
Die Lage sei klar, die Zunahme des Bedarfes durch die Corona-Pandemie insbesondere bei Kindern sei dokumentiert. Der Zugang zur Sprechstunde sei verbessert worden. Das Thema sei ein Schwerpunkt seiner Arbeit sein, er habe sich damit schon länger und intensiver beschäftigt. Bei Patientinnen und Patienten mit mittlerer und leichterer Schwere habe man im internationalen Vergleich lange Therapiedauer, bei Patientinnen bzw. Patienten  mit schwereren oder chronifizierten Erkrankungen sei es schwierig, überhaupt einen Platz zu bekommen. Er habe ein gutes Netzwerk von Psychiaterinnen und Psychiatern sowie von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, mit denen er sich regelmäßig austausche, er wolle sich auch personell in diesem Bereich verstärken. Das sei aber nicht leicht, u. a. weil die Psychotherapeutendichte im internationalen Bereich sehr hoch sei. Auf die Nachfrage von Dr. Stephan Hofmeister schließt der Minister eine Reform der Bedarfsplanung nicht aus.

Dr. Stephan Hofmeister weist auf die Angst vor erneuter Einbudgetierung hin. Das sei dem Minister ebenso bekannt wie die Haltung der Krankenkassen. Er denke aber nicht in der Dimension, wer es bezahlt, vielmehr sei im wichtig, wie man das Problem lösen könnte. Er sei tiefer im Stoff als der Laie denke, aber er werde keine Schnellschusslösung vorstellen.

Wie kann die ambulante Weiterbildung im niedergelassenen Sektor besser gelingen?
Es sei klar, dass sie wachsen werde, das sei aus qualitativen wie aus Bedarfsgründen selbstverständlich. Allerdings geht es in diesem Kontext ausschließlich um die fachärztliche Weiterbildung, die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung bleibt außen vor. Der gesamte Abschnitt zur Bedarfsplanung nimmt lediglich ein Zehntel der gesamten Veranstaltung in Anspruch.

Digitalisierung

Dr. Thomas Kriedel betont einleitend, dass zu diesem Thema besonders viele Anfragen gestellt wurden und setzt es in den Kontext der Ukraine-Krise. Das Thema bleibe akut, gerade weil mehr Menschen versorgt werden müssten und dafür Zeit sein müsste. Kritisch spricht er ungerechtfertigte Sanktionen und Mehrarbeit an.

Frage aus der Vertreterversammlung: Welchen Zweck muss die Digitalisierung in der ambulanten Medizin erfüllen und inwieweit planen Sie Kurskorrekturen?
Lauterbach betont, er habe zunächst einmal die eAU und das eRezept gestoppt, „wenn etwas noch nicht hundertprozentig ausgereift ist, kann man es nicht in die Fläche bringen“. Die ePA habe er allerdings damals selbst vorgeschlagen, als noch Gerd Schroeder Bundeskanzler war, Vorbild waren seine positiven Erfahrungen aus den USA Ende der 1980er-Jahre. Der Grundgedanke war, die Medizin besser zu machen und die Arbeitsprozesse zu vereinfachen. Er illustriert dies an dem Fallbeispiel einer Krebspatientin, bei der Vorbefunde nicht zugänglich waren. Eine Ansammlung von PDFs reiche allerdings nicht, die Dokumente müssten auch durchsuchbar sein.

Wie wollen Sie die Pleiten-Pech-und-Pannen-Serie verändern?
Nachdem er sich einen Überblick verschafft hätte, sei er zu dem Schluss gekommen, dass es noch nicht fertig sei. „Die Ärzte und Patienten müssen den Nutzen spüren“. Dr. Thomas Kriedel dazu: „Die Folgen der gemachten Schritte landen immer in der Praxis“. Eine Hausärztin konkretisiert dies im Einspieler, weist auf die Überforderung in Praxen, aber offenbar auch in Softwarehäusern hin und betont die negative Auswirkung auf die Versorgung. Lauterbach wiederholt o. g. Aussagen und macht vage Angaben zu einer geplanten „neuen Strategiebewertung“.

Planen Sie, die Hersteller von Praxisverwaltungssystemen stärker in die Verantwortung zu nehmen?
Das werde er prüfen. Ein Schwerpunkt sei dabei auf jeden Fall die Verknüpfung der stationären und der ambulanten Systeme. Das sei bisher viel weniger vorgesehen gewesen, als er erwartet hätte. Dr. Thomas Kriedel hakt hierzu nach, wie Hersteller von KISS und PVS einbezogen werden können, konkreter wird Lauterbach aber nicht, er brauche Zeit und wolle keine Schnellschüsse.

Haben Sie Vorstellungen, welche konkreten neuen Anwendungen geplant werden können?
Eine Vorstellung ergebe sich aus dem bisher Gesagten. Lauterbach berichtet von seinen Erfahrungen als Arzt und Wissenschaftler, der sich fortbilde und auch mit Zweitmeinungsverfahren zu tun habe. Wirklich hilfreich wäre demnach eine echte Digitalisierung der Dokumente.

Wie sieht es aus mit dem Ausbau der gematik?
Da müsse noch drüber diskutiert werden, dies sei aber ein ganz wichtiges Thema. Die Haltung bezüglich des Themas teile er nicht zuletzt mit Olaf Scholz persönlich. Die Agentur gematik sei ein guter Weg, man müsse Verantwortung übernehmen.

Themen der Abschlussrunde

Am Ende gibt es noch einmal eine Schnellfragerunde aus der Vertreterversammlung der KBV. Darunter auch eine Frage einer Psychotherapeutin: Wann kommt die aktualisierte GOÄ für die Psychotherapie?
Das wisse man nicht so genau. Das Verhältnis zwischen GKV- und PKV-Versorgung werde man in dieser Legislatur nicht anpacken. Eine weitere spannende Frage, die für die Psychotherapeutenschaft mit Abschaffung des Gutachterverfahrens ggf. noch einmal spannender werden könnte, betrifft Regresse: Können wir mir deren Abschaffung rechnen? Dieser Bereich sei deutlich zurückgedrängt worden, daran habe er in den letzten Legislaturperioden schon mitgearbeitet.

Was sind die wichtigsten drei Vorhaben in Ihrer Legislatur?
Wichtig sei, dass wir den Menschen, die aus der Ukraine kommen, eine medizinische Versorgung gewährleisten können. Die Pandemie soll mit möglichst wenig Todesfällen einhergehen, dazu gehöre auch die Einführung der allgemeinen Impfpflicht. Die vielen Dinge, die im Koalitionsvertrag stehen, sollen praxisnah noch in den ersten zwei Jahren angeschoben werden.

Andreas Gassen dankt Karl Lauterbach, gibt ihm alle offenen Fragen mit und kündigt an, ihn in einem Jahr wieder einzuladen.

Dr. Johanna Thünker