Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Psychotherapie bei Geflüchteten

Die aktuelle Flüchtlingswelle aus der Ukraine stellt viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten erneut vor die Frage, wie sie mit behandlungsbedürftigen Geflüchteten umgehen, denn neben der Sprachbarriere entstehen hier eine Reihe formaler Fragen und Fragen bezüglich der Versorgungskapazitäten insgesamt.

Rechtliche Grundlage

Die medizinische Versorgung von Geflüchteten wird grundsätzlich im Asybewerberleistungs­gesetz (AsylbLG) geregelt, demnach erhalten sie zunächst eine Basisversorgung. Diese umfasst vor allem eine medizinische Akutversorgung zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzen sowie Vorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen. Damit umfasst sie in der Regel keine Psychotherapie. Soll diese dennoch erbracht werden, müssen im Einzelfall besondere Bedürfnisse (wie z. B. schwerwiegende Gewalterfahrungen und daraus resultierender Traumatisierung) geltend gemacht werden. 

Die Rolle des aufenthaltsrechtlichen Status

Der aufenthaltsrechtliche Status entscheidet darüber, welche Leistungen bei welchem Kostenträger bezogen werden können. Diesen gilt es also zunächst zu klären.

Grundsätzlich wird zwischen Flüchtlingen oder Asylsuchenden unterschieden, die sich seit mehr oder weniger als 15 Monaten in Deutschland aufhalten. Halten sie sich weniger als 15 Monate in Deutschland auf, haben Geflüchtete nur Anspruch auf die oben genannte Basisversorgung. Wollen sie medizinische Leistungen in Anspruch nehmen, müssen sie sich vor Ort an das Sozialamt wenden, das für die Gewährung benötigter Leistungen zuständig ist. Hier erhalten sie dann einen Behandlungsschein. Es können grundsätzlich alle Leistungen nach EBM ab­ge­rechnet werden. Vor Aufnahme der Psychotherapie empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Sozialamt.

In einigen Bundesländern gibt es bereits jetzt ein vereinfachtes Verfahren, bei dem die Behandlungsscheine über die Krankenkassen ausgegeben werden. Geflüchtete erhalten dann anstelle des Behandlungsscheins eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) mit besonderer Statuskennzeichnung. Dies gilt bisher für folgende Bundesländer: Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen.

Flüchtlinge oder Asylsuchende, die sich seit mehr als 15 Monaten in Deutschland aufhalten, haben Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie erhalten eine „Gesundheitskarte für Flüchtlinge“, über die sie direkt auf medizinische Versorgung zugreifen können, ohne zuvor bei den Behörden Gutscheine beantragen zu müssen.

Regelungen für Geflüchtete aus der Ukraine ab dem 1. Juni 2022

Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, dass aus der Ukraine geflüchtete Menschen ab dem 1.6.2022 nicht mehr mit Asylbewerberleistungen versorgt werden. Stattdessen werden alle aus der Ukraine Geflüchteten in das Hartz-IV-System überführt. Damit werden sie reguläre Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung.

 

In der regulären Kassenpraxis: Für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten innerhalb der GKV-Versorgung ist die Behandlung von ukrainischen Geflüchteten ab dem 1.6.2022 sowie von Geflüchteten aus anderen Staaten, die länger als 15 Monate in Deutschland sind, zumindest abrechnungs­technisch problemlos möglich, bei allen anderen empfiehlt sich vor Behandlungsbeginn Kontaktaufnahme mit der zuständigen Behörde.

Privatpraxis/Kostenerstattung: Die Beantragung des Behandlungsscheins bei der zuständigen Behörde oder Krankenkasse  kann auch durch Privatpraxen erfolgen. Sobald der Behandlungsschein vorliegt bzw. die geflüchtete Person Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung geworden ist, kann das Antrags-Prozedere für die Psychotherapie in der Kostenerstattung initiiert werden.

Ermächtigung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung

Bereits in der Flüchtlingswelle 2015 stiegt der psychotherapeutische Versorgungsbedarf von Geflüchteten stark an. Eine Lösung der kurzfristigen Deckung von Versorgungslücken schien die temporäre Ermächtigung von Kolleginnen und Kollegen zu sein. Die Bundespsychothera­peutenkammer informierte umfassend über das Prozedere. Ein Antrag auf Ermächtigung bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung hat gute Erfolgsaussichten, insbesondere dann, wenn auch noch entsprechende Sprachkenntnisse bei der beantragenden Therapeutin/dem beantragenden Therapeuten vorhanden sind. Allerdings bedeutet ein Antrag auf Ermächtigung eben auch nur eine temporäre Zulassung, die ggf. auch noch auf die Behandlung bestimmter Gruppen oder die Abrechnung bestimmter Ziffern beschränkt ist.

Beantragung von Sonderbedarfszulassungen

Grundsätzlich kann auch ein Antrag auf Sonderbedarf erwogen werden. Diesen allein mit der Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine zu begründen, dürfte wohl schwierig sein, weil die allgemeine Hoffnung besteht, dass die Menschen binnen der klassischen Fristen für eine Ermächtigung (zwei Jahre) wieder in ihr Heimatland zurückkehren können. Allerdings könnte die Mitversorgung von Geflüchteten insbesondere in einem ohnehin schon schwach versorgten Gebiet insbesondere in Zusammenhang mit Kompetenzen im Bereich der relevanten Sprachen und/oder Traumatherapie aussichtsreich sein. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass von politischer Seite die Kassenärztlichen Vereinigungen aufgefordert wurden, ihren Spielraum (darunter eben auch Sonderbedarf) im Rahmen der Deckung von Versorgungslücken, die durch die Pandemie entstanden sind, zu nutzen (vgl. Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe).

Sprachmittlung

Für die Psychotherapie ist die Frage der Sprachkenntnisse von besonderer Bedeutung. Wenn keine ausreichende Verständigungsmöglichkeit besteht, kann formlos eine Dolmetscherin/ein Dolmetscher beim zuständigen Sozialhilfeträger beantragt werden. Die Kosten für die Sprachmittlung bei einer Psychotherapie kann bei Geflüchteten innerhalb der ersten 18 Monate ihres Aufenthaltes in Deutschland (d. h. bei Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG) bei der zuständigen Sozialbehörde beantragt werden. Es gibt mittlerweile Gerichtsent­scheidungen dazu, dass wenn ein Anspruch auf Psychotherapie be­­steht, auch die dazu­gehörigen Sprachmittlungskosten übernommen werden müssen, einen regu­­lären Rechts­anspruch gibt es aber nicht (Einzelfallprüfungen).

Auch für Geflüchtete aus der Ukraine dürfte die Möglichkeit, die Sprachmittlungskosten bei der zuständigen Sozialbehörde zu beantragen, weiterhin bestehen.

Die BAfF (Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V.) stellt Arbeitshilfen und Musteranträge zur Beantragung von Sprachmittlungskosten bzw. Klagen zur Verfügung („Finanzierung von Sprachmittlungskosten für Geflüchtete“).

Dr. Johanna Thünker