Für Psychotherapeuten ergibt sich nichts fundamental Neues. Die neuen Regelungen im BGB verdeutlichen, dass für Psychotherapeuten in Hinblick auf Behandlungsvertrag, Haftung für Behandlungsfehler, Verteilung der Beweislast, Information, Aufklärung, Einwilligung, Dokumentation und Akteneinsicht kaum etwas anderes gilt als für die Ärzte. Für einen ersten Einblick hat der VPP seinen Mitgliedern eine FAQ erstellt.
Folgende Fragen werden anhand des neuen Gesetzes und seiner Begründung dargestellt:
1. Wann tritt das Patientenrechtegesetz in Kraft?
Das Gesetz sollte ursprünglich zum 1. Januar 2013 in Kraft treten, verzögerte sich dann aber im politischen Diskurs und ist nun am 26.2.13 in Kraft getreten
2. Wo finde ich den Gesetzestext?
Der wesentliche Teil ist in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt. Einige weitere kleinere Änderungen sind im Bundesgesetzblatt ab Artikel 2 zu finden…..
3. Wen betrifft das Gesetz?
Das Gesetz betrifft alle „Behandelnden“. Das sind nicht nur Ärzte und Psychotherapeuten, sondern auch Psychologen mit Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz, beschränkt auf Psychotherapie.
4. welche Gründe führt der Gesetzgeber für das Gesetz an?
– Kodifizierung des Behandlungs- und Arzthaftungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch,
– Förderung der Fehlervermeidungskultur,
– Stärkung der Verfahrensrechte bei Behandlungsfehlern,
– Stärkung der Rechte gegenüber Leistungsträgern,
– Stärkung der Patientenbeteiligung,
– Stärkung der Patienteninformation.
5. Was bedeutet das Gesetz für mich?
Nichts fundamental Neues. Im wesentlichen wird in ein Gesetz gegossen, was die Gerichte zur Haftung der Ärzte für Behandlungsfehler bereits als „Richterrecht“ geschaffen haben und die herrschende Lehre auch anwendbar für Psychotherapeuten und heilkundlich tätige Psychologen gehalten hat.
6. Was regelt das Gesetz grob?
Es regelt im Bürgerlichen Gesetzbuch den Behandlungsvertrag als Unterfall des Dienstleistungsvertrags. Im wesentlichen werden der Vertrag, die Informations- und Aufklärungspflichten, die Haftung für Behandlungsfehler, die Dokumentation und die Einsichtnahme des Patienten in die Patientenakte und die Beweislastverteilung geregelt.
Ferner wird im SGB V für die Kostenerstattung bei Systemversagen eine Frist eingeführt.
7. Ist jede Tätigkeit des Behandelnden erfasst?
Nein, es ist nur die Heilbehandlung bzw. die medizinische Behandlung erfasst. Diesbezüglich zitiert der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung das Lehrbuch von Laufs/Kern: Die Heilbehandlung „umfasst neben der Diagnose die Therapie und damit sämtliche Maßnahmen und Eingriffe am Körper eines Menschen, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern“. Diese Definition passt nicht so recht auf die Heilbehandlung der Psychotherapeuten und Psychologen („…Maßnahmen am Körper….“). Das Gesetz erfasst aber zweifellos auch die Heilbehandlung der Psychotherapeuten und Psychologen mittels psychologischer Intervention, was u.a. daran zu erkennen ist, dass in der Gesetzesbegründung die Psychotherapeuten ausdrücklich neben den Ärzten erwähnt werden.
8. Sind auch Kostenerstattungsfälle und Privatbehandlungen erfasst?
Ja, jede Behandlung ist erfasst, unabhängig vom Zulassungsstatus des Behandelnden und unabhängig vom Versicherungsstatus des Patienten.
9. Gilt das Gesetz nur für ambulant Behandelnde?
Das Gesetz betrifft alle Behandelnden, unabhängig davon, ob sie im ambulanten oder stationären Setting tätig sind.
10. Wird ein Behandlungserfolg geschuldet?
Wegen der Komplexität der Vorgänge im menschlichen Körper, die durch den Menschen kaum beherrschbar ist, kann ein Erfolg der Behandlung am lebenden Organismus im Allgemeinen nicht garantiert werden. Der Behandelnde wird daher lediglich zu einer fachgerechten Vornahme der Behandlung verpflichtet, schuldet aber grundsätzlich keinen Behandlungserfolg.
11. Ist Vertragspartner immer der Behandelnde?
Nein. Häufig ist der Behandelnde, also der die Behandlung durchführende Psychotherapeut oder Psychologe auch der Vertragspartner. Der die Behandlung Zusagende, also der Vertragspartner kann aber z.B. dessen Arbeitgeber und seine Gesellschaft sein, so dass also z.B. eine Klinik oder ein MVZ einen Behandlungsvertrag abschließen kann und dann ein Psychotherapeut oder Psychologe der Behandelnde ist.
12. Wird auch mit Kassenpatienten ein Behandlungsvertrag geschlossen?
Ja. Zwar regelt § 630a BGB eine Vergütungspflicht des Patienten und damit ist typischerweise der Behandlungsvertrag mit Privatpatienten erfasst. Die Vergütungspflicht kann aber abbedungen werden und das ist bei Kassenpatienten dann meistens der Fall, weil die Honorierung der Leistung gesetzlich über das SGB V geregelt erfolgt.
13. Regelt das Patientenrechtegesetz etwas zum Behandlungsvertrag mit Minderjährigen?
Leider nein, lediglich bei der Einwilligung wird das Thema Minderjährige in der Gesetzesbegründung kurz aufgegriffen. Es bleibt also dabei, dass meistens die Erziehungsberechtigten den Behandlungsvertrag abschließen müssen und bei KK-versicherten Minderjährigen ab dem 15. Lebensjahr die Unsicherheit fortbesteht, die sich aus der Unklarheit und Strittigkeit zum Verhältnis von § 107 BGB und § 36 SGB I ergibt.
14. Muss der Behandlungsvertrag schriftlich geschlossen werden?
Es ist weder Schrift- noch Textform vorgeschrieben, so dass ein Behandlungsvertrag auch mündlich abgeschlossen werden kann. Ein schriftlicher Vertrag ist jedoch häufig, insbesondere bei längerfristigen oder schwierigen Behandlungsverhältnissen angeraten.
Ggf. folgt bzgl. der finanziellen Folgen der Behandlung das Textformgebot aus § 630c Abs.4 BGB).
Da allerdings Informations- und Aufklärungspflichten tw. schriftlich erfolgen müssen oder sollen , bietet es sich an, dann auch gleich den Behandlungsvertrag schriftlich zu vereinbaren. Beides kann auch zusammengefasst werden, weswegen dann der Eindruck entstehen kann, auch der Behandlungsvertrag müsse schriftlich gefasst sein.
15. Regelt das Gesetz das Haftungsrecht für Behandlungsfehler neu?
Im wesentlichen übernimmt das Gesetz die Rechtsprechung zur Haftung für ärztliche Behandlungsfehler. Obwohl es für die Haftung für Behandlungsfehler bei der Behandlung psychischer Krankheiten durch Psychotherapeuten und Psychologen bislang kaum bzw. keine veröffentlichten Gerichtsentscheidungen gibt, wird allgemein angenommen, dass die Rechtsprechung zum ärztlichen Haftungsrecht auf Behandlungsfehler von Psychotherapeuten und Psychologen entsprechend anzuwenden ist.
Seit das Patientenrechtegesetz das Arzthaftungsrecht auf alle Behandler anwendet, ist dies nun eindeutig.
Ob aber in der Auslegung des neuen Gesetzes bei Behandlungsfehlern durch Psychotherapeuten oder Psychologen oder zu Fragen der Einwilligung stets kategorisch auf die bisherige Rechtsprechung zur ärztlichen Behandlung Bezug genommen werden kann, ist (auch wenn das weitgehend erwartet werden darf) eine eigenständige Frage, die noch nicht abschließend beantwortet ist, bzw. sich dem Berufsstand spätestens jetzt stellt.
Es ist durchaus denkbar, dass sich in Bezug auf die psychotherapeutische Behandlung eigenständige, abweichende Auslegungen des Gesetzes ergeben werden.
16. Gilt für Psychotherapeuten derselbe Haftungsmaßstab wie für Ärzte?
Die Psychotherapeuten werden diesbezüglich in der Gesetzesbegründung nur am Rande erwähnt: Bei Ihnen sei der Umfang der fachlichen Standards unproblematisch. Die Gesetzesbegründung bezieht sich weitgehend auf die Ärzte:
Handelt es sich bei dem Behandelnden etwa um einen Arzt, so schuldet er im Regelfall eine Behandlung nach den allgemein anerkannten Standards der Medizin. Die medizinischen Standards beziehen sich primär auf die Art und Weise der Erbringung der Behandlung durch einen Arzt und sind nicht auf ein abstrakt vorgegebenes Ziel, sondern auf die in der Praxis bereits befolgten Verhaltensmuster ausgerichtet….. Für Ärzte ist im Regelfall auf den jeweiligen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlicher Erfahrung abzustellen, der zur Erreichung des Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat. Maßgeblich sind insoweit regelmäßig Leitlinien, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgegebenen werden…..
Für besondere Fachbereiche im Rahmen der ärztlichen Behandlung gilt es darüber hinaus auch den sogenannten Facharztstandard zu beachten, der für das jeweilige Fachgebiet im Zeitpunkt der Behandlung maßgeblich ist. Etwas anderes kann nur dann gelten, soweit es auf die Spezialkenntnisse des Facharztes im Einzelfall doch nicht ankommt. Die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des einzelnen Arztes sind hingegen nicht von Bedeutung. Um den erforderlichen Kenntnisstand zu erlangen und auch zu erhalten, muss sich der Arzt regelmäßig fortbilden und die einschlägigen Fachzeitschriften des entsprechenden Fachgebietes, in dem er tätig ist, lesen.
17. Darf man vom fachlichen Standard auch abweichen?
Die nach § 630a Absatz 2 von einem Angehörigen einer Behandlungsgruppe zu beachtenden fachlichen Standards sind nur solange maßgeblich, wie die Parteien nicht etwas anderes vereinbaren. Es entspricht der Dispositionsmöglichkeit der Parteien, einen von den anerkannten fachlichen Standards abweichenden Standard der Behandlung zu verabreden. Die medizinische Behandlung muss außerdem grundsätzlich offen sein für neue Behandlungsmethoden. Mithin führt ein Abweichen des Behandelnden vom gültigen Standard nicht notwendig zu einem Behandlungsfehler. Entsprechendes dürfte auch dann gelten, soweit der Behandelnde plausibel begründen kann, dass die Befindlichkeit seines Patienten so stark von der Regel abweicht, dass eine modifizierte Strategie ergriffen werden musste. Insofern soll dem Behandelnden sowohl beim diagnostischen Verfahren als auch im Therapiebereich ein ausreichender Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum verbleiben, in dessen Rahmen er zur pflichtgemäßen Ausübung seines Ermessens verpflichtet ist.
18. Wann liegen Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht vor?
Das Spektrum möglicher Verstöße gegen § 630a Abs.2 ist weit. Die meisten der im ärztlichen Haftungsrecht etablierten und vom Gesetz indirekt übernommenen Fehlertypen haben für Psychotherapeuten (bislang) nur geringe praktische Relevanz. Die auch in der Gesetzesbegründung aufgeführten Begriffe sind nicht unbedingt ein sachlich orientierter Überblich über mögliche Fehlertypen, sondern orientieren sich auch an den tw. unterschiedlichen Rechtsfolgen, die daran jeweils anknüpfen insbesondere für die Beweislastverteilung. Hier nur einige Schlagworte: Diagnostikfehler, Therapiefehler, mangelhafte therapeutische Information, Organisationsfehler, Anfängerfehler, Befunderhebungsfehler. Weitere Begriffe werden ohnehin erst bei der Beweislastverteilung relevant: Voll beherrschbares Risiko, Einwilligungsfehler, Dokumentationsfehler, grober Behandlungsfehler, Berufsanfängerfehler.
19. Kann ich mich bzgl. Behandlungsfehlern versichern?
Psychotherapeuten können nicht nur, sie müssen sich versichern. Das ergibt sich allerdings nicht aus dem Patientenrechtegesetz, sondern aus der jeweiligen Landesberufsordnung bzw. aus den Landeskammergesetzen. Die Psychotherapeuten haben also bereits in aller Regel eine Berufshaftpflichtversicherung.
20. Warum gibt es bei Psychotherapeuten so wenig Behandlungsfehler?
Dass es wenig Behandlungsfehler gibt, ist nicht erwiesen, auch wenn dies natürlich zu hoffen ist. Es gibt lediglich wenig Haftungsvorwürfe und über die Gründe dafür kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Das kann vielleicht daran liegen, dass in der subjektiven Wahrnehmung der Patienten gar nicht differenziert bemerkbar ist, dass der Zustand bei ordnungsgemäßer Psychotherapie besser wäre bzw. dass eine weitere psychische Belastung oder gar Störung als Folge eines Behandlungsfehlers aus seiner Sicht nicht von der ursprünglichen Erkrankung unterscheidbar ist. Denkbar ist, dass der Patient allein die Gespräche in der Psychotherapie als lindernd empfindet und sich gar nicht bewusst wird, dass eine ordnungsgemäße Psychotherapie noch besser oder nachhaltiger wirken würde. Jedenfalls sind ärztliche Behandlungsfehler und deren Folgen leichter sicht- oder spürbar. Über Kurz oder Lang erscheint es aber nicht unwahrscheinlich, dass bei den Psychotherapiepatienten die Erwartungshaltung zunimmt und dann schneller die Schuld beim Psychotherapeuten gesucht wird, wenn sich subjektiv der Zustand mit und nach der Psychotherapie nicht gebessert hat.
21. Wie ist bei Behandlungsfehlern die Krankenkasse involviert?
Schon bislang konnten die Krankenkassen gem. § 66 SGB V den Patienten bei der Verfolgung von Haftungsansprüchen unterstützen, haben davon allerdings unterschiedlich Gebrauch gemacht. Zukünftig „sollen“ Krankenkassen ihre Versicherten bei der Durchsetzung der Schadensersatzansprüche aus Behandlungsfehlern unterstützen. D. h. sie sind grundsätzlich zur Unterstützung verpflichtet, es sei denn, es sprechen besondere Gründe dagegen. Dies kann etwa durch Unterstützungsleistungen, mit denen die Beweisführung der Versicherten erleichtert wird, z. B. medizinische Gutachten, geschehen.
22. Hat der Patient eine Mitwirkungspflicht?
Ja, gem. § 630c Abs.1 BGB. In dem Behandlungsverhältnis trifft den Patienten die Obliegenheit, für die Behandlung bedeutsamen Umstände zeitnah offen zu legen und dem Behandelnden auf diese Weise ein Bild von seiner Person und seiner körperlichen Verfassung zu vermitteln. Verstößt der Patient dagegen, so kann ihm dies im Schadensfall gegebenenfalls zu seinen Lasten als Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB für den eingetretenen Schaden zugerechnet werden.
23. Worüber muss ich den Patienten bei Vertragsschluss informieren?
Durch die Informationspflichten nach § 630c Abs.2 Satz 1 wird sichergestellt, dass dem Patienten in einer für ihn verständlichen Weise sämtliche für die Behandlung wichtigen Umstände grundsätzlich schon zu deren Beginn offenbart werden.
Insbesondere sind das die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zur und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen als mitteilungspflichtige Informationen. Denkbar ist auch die Erörterung der Anamnese, möglicher Untersuchungen sowie der Notwendigkeit von Befunderhebungen.
24. Gibt es einen Unterschied zwischen Informationspflichten und Aufklärungspflichten?
Ja, diese begrifflich neue Unterscheidung soll verdeutlichen, dass die Informationspflichten primär (aber nicht nur) bei Vertragsschluss zu erfüllen sind und dazu dienen, den Behandlungsvertrag zu vervollständigen, während die Aufklärungspflicht generell gilt.
Der Gesetzgeber sieht die Informationspflicht als die von der Rechtsprechung im Arzthaftungsrecht entwickelte „therapeutische Aufklärung“ bzw. „Sicherungsaufklärung“.
Die Informationspflichten sind in § 630c Abs.2 und 3 geregelt, die Aufklärungspflicht in § 630e.
Abgesehen davon gibt es die Unterscheidung zwischen der Informationspflicht bei Vertragsschluss (§ 630c Abs.2 Satz 1) und der Informationspflicht bzgl. Behandlungsfehlern (§ 630c Abs.2 Satz 2).
25. Muss ich einen Behandlungsfehler offenbaren?
Hier ist zu differenzieren, wobei ein Behandlungsfehler nicht schon zur Überzeugung des Behandelnden vorliegen muss, sondern es genügt, wenn man Umstände erkennt, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen.
a) Fragt der Patient nach einem Behandlungsfehler, muss über diesen wahrheitsgemäß informiert werden, egal ob es ein eigener und/oder der eines anderen Behandelnden ist bzw. sein könnte.
b) Ist dem Behandelnden der Behandlungsfehler bekannt, der Patient hat aber nicht danach gefragt, muss er den Patienten informieren, soweit dies zur Abwendung von gesundheitlichen Gefahren für den Patienten erforderlich ist, im übrigen aber nicht.
c) Der Information des Patienten bedarf es aber gem. § 630c Abs.4 nicht, soweit diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist. So können im Einzelfall auch erhebliche therapeutische Gründe der Informationspflicht entgegenstehen, soweit die begründete Gefahr besteht, dass der Patient infolge der Information sein Leben oder seine Gesundheit gefährdet.
26. Muss ich ggf. recherchieren, ob durch mich oder einen anderen Behandelnden ein Behandlungsfehler vorliegen könnten?
Eine Recherchepflicht des Behandelnden zur Abklärung möglicher, für ihn aber nicht erkennbarer Behandlungsfehler besteht nicht.
27. Belaste ich mich mit dieser Informationspflicht nicht selbst?
Zumindest in Bezug auf Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten darf diese Information zu Beweiszwecken nur mit Zustimmung des Behandelnden verwendet werden ( § 630c Abs.2 Satz 3 BGB).
28. Was ist eine wirtschaftliche Informationspflicht?
Als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag dient sie dazu, den Patienten vor finanziellen Überraschungen zu schützen. Diese Pflicht regelt § 630d Abs.3.
29. Muss ich stets über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung informieren?
Nein, nur wenn eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten (Krankenkasse, Beihilfe, Versicherung, Rehaträger etc.) nicht gesichert ist oder sich hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben. Dann allerdings muss über die voraussichtlichen Kosten sogar in Textform informiert werden und zwar vor Beginn der Behandlung.
30. Was heißt „voraussichtliche Kosten“?
Der Gesetzgeber formuliert in der Gesetzesbegründung, dass die voraussichtlichen Kosten zu „beziffern“ sind. Da es aber um „voraussichtliche“ Kosten geht, ist eine Schätzung erlaubt. Hinsichtlich des Behandlungsumfangs kann ohnehin nur geschätzt werden. Wohl ausreichen dürfte daher z.B. „Für den Fall, dass die Krankenkasse die Kostenerstattung ablehnt, richtet sich das Honorar nach der Gebührenordnung für Psychotherapeuten. Danach beträgt das Honorar für eine Sitzung 100,56 € bei einem 2,3-fachen Steigerungssatz.“
31. Kann es bezüglich der voraussichtlichen Kosten weiterreichende Informationspflichten geben?
Das BSG hat bei der sog „außervertraglichen Psychotherapie“, also bei Kostenerstattung gem. § 13 Abs.3 SGB V besondere Hinweispflichten definiert. Dass diese soweit entfallen, wie § 630c sie nicht aufgreift, ist nicht anzunehmen, da weder Gesetzestext, noch Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, dass die Informationspflicht abschließend sein soll.
32. Gilt die Informationspflicht über die voraussichtlichen Kosten auch, wenn ich von den Regeln der Kostentragung Dritter gar nicht weiß?
Voraussetzung für diese Informationspflicht ist, dass der Behandelnde positive Kenntnis von der Unsicherheit der Kostenübernahme durch einen Dritten hat. Allerdings steht es der positiven Kenntnis gleich, wenn sich aus den Umständen hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist.
Im Zweifel werden die Folgen der Unkenntnis über die fehlende Kostentragung durch Dritte wohl eher dem Behandelnden wegen seines grundsätzlich „überlegenen Wissens“ in Abrechnungsangelegenheiten angelastet, so dass vorsichtshalber besser informiert wird, wenn man sich als Behandelnder der Kostentragung nicht sicher ist.
33. Muss ich auch bei privat Versicherten über die voraussichtlichen Kosten informieren?
Hier relativiert die Gesetzesbegründung das ansonsten angenommene „überlegene Wissen“ des Behandelnden. Bei privat krankenversicherten Patienten liegt es grundsätzlich im Verantwortungsbereich der Patienten, Kenntnisse über den Inhalt und Umfang des mit der Krankenversicherung abgeschlossenen Versicherungsvertrages zu haben. Es wird sich daher ein überlegenes Wissens des Behandelnden eher ausnahmsweise ergeben. Insbesondere ist es nicht die Pflicht des Behandelnden, den Patienten umfassend wirtschaftlich zu beraten. Auch darf das wirtschaftliche Risiko der Behandlung nicht allein dem Behandelnden aufgebürdet werden. Vielmehr entspricht es auch der Pflicht des Patienten als mündigem Vertragspartner, vorab bei der Versicherung eine vorherige Kostenzusage-/Übernahmebestätigung einzuholen.
Jedenfalls bei IGeL wird die Informationspflicht aber bejaht.
34. Kann ich mündlich über die voraussichtlichen Kosten informieren?
Nein, das Gesetz verlangt Textform gem. § 126b BGB.
35. Muss ich ggf. beweisen, dass ich keine wirtschaftliche Informationspflicht hatte?
Nein. Beruft sich der Patient darauf, dass er über die voraussichtlichen Kosten nicht ausreichend aufgeklärt worden sei, muss er beweisen, dass ein Pflichtverstoß vorlag. Die Beweislastverteilungsregelungen aus dem neuen § 630h gelten insoweit nicht.
36. Warum muss ich den Patienten aufklären?
Die Notwendigkeit der Aufklärung als Basis für eine wirksame Einwilligung ergab sich bislang natürlich schon aus der Berufsordnung. Mit der Neuregelung im Gesetz wird verdeutlicht, dass Aufklärung und Einwilligung auch Erfüllungsvoraussetzung sind.
Die Bedeutung fehlender Einwilligung bzw. mangelhafter Einwilligung infolge falscher oder fehlender Aufklärung wird bei Psychotherapeuten vermutlich weniger im Zusammenhang mit Schadensfällen relevant werden, sondern wohl eher bei Streit darüber, ob der Honoraranspruch berechtigt ist.
37. Wenn ich den Patienten aufgeklärt habe, habe ich doch das Erforderliche getan, oder?
Für die Einholung der Einwilligung ist es erforderlich, dass der Behandelnde den Patienten, nachdem er ihn vorher in verständlicher Weise ordnungsgemäß aufgeklärt hat, ausdrücklich und unmissverständlich fragt, ob er in die Maßnahme einwilligt. Allerdings ist das bei Psychotherapien in diesem Maße nicht so erforderlich wie bei körperlichen Eingriffen, so dass sich ergeben kann, dass die Frage sowohl konkludent gestellt, als auch konkludent beantwortet wird.
Zu beachten sind weitere formelle Voraussetzungen (s.u.)
38. Können auch Minderjährige einwilligen?
Ja, allerdings kommt es beim Minderjährigen auf die Umstände des Einzelfalles an, ob seine Eltern als gesetzliche Vertreter, gegebenenfalls der Minderjährige allein oder auch der Minderjährige und seine Eltern gemeinsam einwilligen müssen. In der Begründung wird auf einen Fachartikel von Nebendahl Bezug genommen. Legt man dessen Sichtweise zugrunde, dann könne der Minderjährige aber nie allein entscheiden, jedoch ab Einwilligungsfähigkeit auch nicht die Erziehungsberechtigten gegen den Willen des Minderjährigen, so dass ab Einwilligungsfähigkeit immer sowohl der Minderjährige, als auch die Erziehungsberechtigten (oder ggf. einer in Vertretung des anderen) einwilligen müssten.
Es ist also nur ein Stück weit Veränderung eingetreten, als nämlich im Einzelfall der Minderjährige allein entscheiden kann (größere Teile der Fachliteratur vertreten dies ohnehin – je nach Auffassung ab Einwilligungsfähigkeit oder stets ab dem 15. Lebensjahr – aber in der Rechtsprechung war es bislang eher zweifelhaft, ob ein Minderjähriger auch ganz allein einwilligen kann). Allerdings bleibt offen, wann dies der Fall sein soll.
Das war schon bislang eine strittige und in der Praxis mit Schwierigkeiten verbundene Frage und dabei wird es wohl vorerst auch bleiben.
Weiterhin zeigt sich rechtlich bei der Einwilligung Minderjähriger deutlich die Unterscheidung von Vertrag und Einwilligung, allerdings ohne dass das Patientenrechtegesetz diese Differenzierung befriedigend beantwortet.
39. Muss man sogar einwilligungsunfähige Minderjährige aufklären?
Gem. § 630e Abs.5 muss auch der einwilligungsunfähige Minderjährige über die wesentlichen Umstände der Behandlung aufgeklärt werden, soweit dieser aufgrund seines Entwicklungsstandes und seiner Verständnismöglichkeit in der Lage ist, die Erläuterung aufzunehmen und soweit es seinem Wohl nicht zuwider läuft.
Dies entspricht der aktuellen Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung: Auch ein Einwilligungsunfähiger darf über das Ob und Wie einer Behandlung, der er unterzogen wird, grundsätzlich nicht im Unklaren gelassen werden.
Es stellt sich die Frage, welche Rechtsfolge bei Verstoß eintreten soll. Denn wenn der dermaßen aufgeklärte Minderjährige ohnehin weder einwilligen, noch die Einwilligung verweigern kann, dürfte es bei jeglichen Schäden an der Kausalität der unzureichenden Aufklärung mangeln. Faktisch mag sich die Folge ergeben, dass sich der Patient jenseits seiner Einwilligungsfähigkeit nach einer solchen Aufklärung tatsächlich der Behandlung verweigert.
Einstweilen dürfte es nach hiesiger Auffassung wohl ausreichen, den einwilligungsunfähigen minderjährigen Patienten lediglich mitzuteilen, dass man sich ab jetzt einige Male in der Praxis sehen wird und man ein paar Spiele macht und über einige Dinge reden möchte. Es wird eine Frage des Einzelfalls werden, ob es – auch alters- und reifeabhängig – weitergehend zu den wesentlichen Umständen gehört, mitzuteilen, über welche Themen es gehen wird und das das vielleicht vom Minderjährigen als etwas unangenehm empfunden werden kann. Hält man das als KJP bereits für kontraproduktiv, muss man entweder begründen können, dass dies nicht zu den wesentlichen Umständen der Behandlung gehört oder aber darlegen können, dass eine solche Aufklärung gem. § 630e Abs.3 ausnahmsweise entbehrlich ist. Hierzu bedarf also noch der fachlichen Diskussion.
40. Warum kommt es dann doch auf die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen an?
Weil nach der Gesetzesbegründung davon auszugehen ist, dass der einwilligungsfähige Minderjährige im Einzelfall zumindest eine Mitentscheidungsbefugnis, vielleicht sogar eine Alleinentscheidungsbefugnis haben kann, so dass er dann einwilligen und entsprechend zuvor aufgeklärt werden muss.
41. Ab wann ist der Minderjährige einwilligungsfähig?
Entscheidend für die Einwilligungsfähigkeit ist die natürliche Willensfähigkeit des Patienten. Das Einsichtsvermögen und die Urteilskraft des Patienten müssen ausreichen, um die vorherige Aufklärung zu verstehen, den Nutzen einer Behandlung gegen deren Risiken abzuwägen und um schließlich eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Der Behandelnde muss sich davon überzeugen, dass der Patient die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitzt und Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der medizinischen Maßnahme erfassen und seinen Willen hiernach ausrichten kann. Eine starre Altersgrenze lässt sich nicht ziehen. Beim Minderjährigen kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, ob seine Eltern als gesetzliche Vertreter, gegebenenfalls der Minderjährige allein oder auch der Minderjährige und seine Eltern gemeinsam einwilligen müssen . Die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger ist im Regelfall dann gegeben, wenn sie über die behandlungsspezifische natürliche Einsichtsfähigkeit verfügen.
42. Muss ich ggf. beweisen können, dass eine Einwilligung des Minderjährigen nicht nötig war, weil er noch nicht einwilligungsfähig war?
Ja, der Behandelnde muss den für ihn günstigen Umstand der Einwilligungsunfähigkeit beweisen.
43. Wenn ich zwar Einwilligungsfähigkeit bejahe, aber davon ausgehe, dass der Minderjährige kein Vetorecht gegen die Einwilligung der Erziehungsberechtigten hat, wen trifft die Beweislast für das fehlende Vetorecht?
Einmal abgesehen davon, dass fraglich ist, ob die Indikation für eine KJ-Therapie vorliegt, wenn der Minderjährige faktisch keine Mitwirkungsbereitschaft hat, läge die Beweislast dafür, dass das Vetorecht nicht bestand und deswegen die Einwilligung des Minderjährigen nicht erforderlich war, beim Psychotherapeuten. Er müsste anhand seiner Dokumentation darlegen, an welchen Kriterien und Umständen er festgemacht hat, dass das Elternrecht das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen überwogen hat.
44. Kann die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen überhaupt bejaht werden, wenn das Elternrecht vorgeht?
Das ist insofern eine berechtigte Frage, als vereinzelt angenommen wird, dass die Frage eines überwiegenden Elternwillens bereits bei der Prüfung der Urteilsfähigkeit relevant ist.
Nach hiesiger Auffassung ist aber zu trennen: Auch bezogen auf den konkreten Eingriff kann die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen bejaht werden und trotzdem das Elternrecht überwiegen.
45. Hat das Patientenrechtegesetz in Bezug auf die Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter Auswirkungen auf andere Rechtsfragen, insbesondere die Zuständigkeit bei Schweigepflichtsentbindungen durch Minderjährige?
Nach hiesiger Auffassung nicht: Es geht beim Patientenrechtegesetz um die Einwilligung in die Krankenbehandlung, nicht primär um das informationelle Selbstbestimmungsrecht im Rahmen der eingewilligten Psychotherapie.
46. Wann brauche ich keine Einwilligung vor der Behandlung einzuholen ?
Die Fälle dürften für Psychotherapeuten recht selten sein, nämlich in Notfällen. Denkbar ist etwa eine Krisenintervention bei akuter Suizidalität.
47. Worüber muss ich den Patienten aufklären?
Gem. § 630e Abs.1 Satz 1 über sämtliche für die Einwilligung wesentlich Umstände. Das Gesetz konkretisiert im nächsten Satz der Vorschrift: „Dazu gehören in der Regel insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.“
48. Können die Behandelnden bei Fragen zur Aufklärungspflicht auf die bisherige Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht Bezug nehmen?
Ja, § 630e schreibt die sog. Eingriffs- und Risikoaufklärung (Selbstbestimmungsaufklärung) fest und zeichnet die hierzu bestehende und gefestigte Rechtsprechung nach.
49. Muss ich über alle Einzelheiten und Eventualitäten aufklären?
Die Aufklärung soll nicht medizinisches Detailwissen vermitteln, sondern dem Patienten die Schwere und Tragweite eines etwaigen Eingriffs verdeutlichen, so dass er eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts erhält. Der Wortlaut des § 630e Abs.1 zeigt bereits deutliche Eingrenzungen des Aufklärungsumfangs.
50. Kann man den erforderlichen Aufklärungsumfang näher eingrenzen?
Allgemein gilt, dass sich die Art und Weise sowie Umfang und Intensität der Aufklärung nach der jeweiligen konkreten Behandlungssituation richten. Insofern ist eine abstrakte Eingrenzung schwierig. Zumindest für Ärzte bietet die Kasuistik der Rechtsprechung Anhaltspunkte.
Erforderlich ist laut Gesetzesbegründung, dass der Behandelnde den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufklärt. Absatz 1 Satz 2 listet exemplarisch die aufklärungsbedürftigen Umstände für den Regelfall auf. Demnach ist der Patient im Regelfall insbesondere über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und spezifische Risiken der Maßnahme, die Notwendigkeit, Dringlichkeit und Eignung der Maßnahme zur Diagnose oder zur Therapie und über die Erfolgsaussichten der Maßnahme im Hinblick auf die Diagnose oder Therapie aufzuklären. Der Katalog ist nicht abschließend; im Einzelfall kann es erforderlich sein, über weitere Umstände aufzuklären.
51. Gilt für mich Therapiefreiheit?
Grundsätzlich haben Behandelnde Therapiefreiheit. Ärzte und Psychotherapeuten unterliegen allerdings dem Gebot der Einhaltung fachlicher Standards gem. § 630a Abs.2, was für Psychotherapeuten im Sozialrecht eine erhebliche Einschränkung ihrer Therapiefreiheit bedeutet. In diesem Rahmen haben sie zwar das Recht, im Ermessen die konkrete Methode zu wählen. Gleichwohl gebietet das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, diesem als Subjekt der Behandlung die Wahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Alternativen zu überlassen.
52. Muss ich darüber aufklären, dass man die psychische Erkrankung auch mit einem anderen Therapieverfahren behandeln könnte?
Nach hiesiger Auffassung ist dies im Regelfall nicht erforderlich, weil üblicherweise die Anwendung verschiedener Psychotherapieverfahren nicht zu „wesentlich“ unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen. Sollte ein anderes Verfahren wesentlich höhere Heilungschancen erwarten lassen, stellt sich weniger die Frage, ob darüber aufgeklärt werden muss, als die, ob für die eigene Behandlung überhaupt die Indikation vorliegt.
Dies bedarf allerdings noch fachlicher Diskussion und daraus abgeleitet eventuell der Differenzierung.
53. Was bedeutet es für Psychotherapeuten, u.a. über Risiken und Folgen aufzuklären?
Dies bedarf noch fachlicher Sortierung. Einstweilen sollte im Regelfall genügen, ggf. darauf hinzuweisen, dass die Psychotherapie mit Belastungssituationen verbunden sein kann, die Frustration , somatische Beschwerden oder Stress auslösen können.
Hingegen ist nach hiesiger Auffassung nicht darüber aufzuklären, dass sich anlässlich oder im Zusammenhang mit der Psychotherapie die Lebenssituation ändern könnte (Trennung vom Partner, Jobwechsel, Umzug etc). Auch wenn solche Themen in der Psychotherapie bearbeitet werden, liegen sie wesentlich außerhalb der Psychotherapie in abgrenzbarer eigener Entscheidungshoheit. Aufgeklärt werden muss nur über Risiken bei ordnungsgemäßer Behandlung. Zur ordnungsgemäßen Psychotherapie gehört es, sich als Psychotherapeuten nicht in solche Lebensentscheidungen des Patienten einzubeziehen.
54. Muss ich über theoretisch mögliche Behandlungsfehler aufklären?
Nein, es muss nur über Risiken einer ordnungsgemäßen Behandlung aufgeklärt werden. Nicht über eventuell mögliche Behandlungsfehler und deren Folgen. Es wäre auch absurd, stets z.B. über die theoretische Möglichkeit eines Verstoßes gegen das sexuelle Abstinenzgebot aufklären zu müssen.
55. Genügt eine schriftliche Aufklärung, etwa mit einem professionell erstellten Formblatt?
§ 630e Absatz 2 Satz 1 regelt die formellen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung. Die Aufklärung hat mündlich zu erfolgen (Nummer 1). Dem Patienten soll die Möglichkeit eröffnet werden, in einem persönlichen Gespräch mit dem Behandelnden gegebenenfalls auch Rückfragen zu stellen, so dass die Aufklärung nicht auf einen lediglich formalen Merkposten innerhalb eines Aufklärungsbogens reduziert wird. Lediglich ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Einwilligende in Textform erhalten hat.
Professionell erstellte Formblätter können daher die Aufklärung nicht ersetzen, sind aber hilfreich, zum einen zum Vergewissern, ob man etwas für die Aufklärung vergessen hat, zum anderen, um sie dem Patienten zur Kenntnis zu geben.
Eingedenk des Umstandes, dass es in jedem Einzelfall Anlass für Ergänzungen und/oder Streichungen geben kann, kann man sich die Kenntnisnahme des Formblatts zum Aufklärungsbeweis durch eine Unterschrift dokumentieren lassen.
Wenn der Patient im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung Unterlagen unterzeichnet hat, so sind ihm davon gemäß Absatz 2 Satz 2 Abschriften (z.B. in Form einer Durchschrift oder Kopie) auszuhändigen.
56. Darf ich bei der Aufklärung Fachvokabular verwenden?
Gemäß Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 muss die Aufklärung für den Patienten verständlich sein. Die Anforderungen an die Verständlichkeit sind empfängerorientiert. Verständlich heißt, dass die Aufklärung für den Patienten sprachlich verständlich sein muss. Sie darf in der Regel nicht in einer übermäßigen Fachsprache des Behandelnden erfolgen. Bei einem Patienten, der den Inhalt der Aufklärung nach seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand nur schwer nachvollziehen kann, muss die Aufklärung in leichter Sprache erfolgen und gegebenenfalls wiederholt werden. Bei Patienten, die nach eigenen Angaben oder nach der Überzeugung des Behandelnden der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sind, hat die Aufklärung in einer Sprache zu erfolgen, die der Patient versteht. Erforderlichenfalls ist eine sprachkundige Person oder ein Dolmetscher auf Kosten des Patienten hinzuzuziehen.
Die Pflicht zur verständlichen Aufklärung gebietet im Regelfall auch eine möglichst schonende Aufklärung.
57. Gem. § 630e Abs.3 kann die Aufklärung „aufgrund besonderer Umstände“ entbehrlich sein. Sind solche Fälle für Psychotherapeuten denkbar?
Da das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nur unter engen Voraussetzungen eingeschränkt werden darf, sind die Anforderungen an diese therapeutischen Gründe sehr streng. Ob solche Fälle denkbar sind, wird wohl die Diskussion der nächsten Monate herausarbeiten, es werden aber jedenfalls eher seltene Ausnahmen sein.
58. Wann muss aufgeklärt werden?
Der Patient muss gem. § 630e Abs.2 Satz 1 Nr.3 rechtzeitig vor dem Beginn der beabsichtigten Maßnahme über deren Erfolgsaussichten und Risiken aufgeklärt werden, damit er durch eine eingehende Abwägung der für und gegen die Maßnahme sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren kann.
Für Psychotherapeuten dürfte diese zeitliche Anforderung stets kein Problem sein.
59. Genügt eine elektronische Patientenakte?
Absatz 1 soll die Pflicht des Behandelnden regeln, eine Patientenakte zur Dokumentation des Behandlungsgeschehens zu führen. Ausdrücklich bestimmt wird, dass die Patientenakte als Papierdokument oder als elektronisches Dokument geführt werden kann. Die Regelung soll an die bisher zur Dokumentation ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anknüpfen und diese fortentwickeln.
60. Was sind im Patientenrechtegesetz die Zwecke der Dokumentation?
Die Dokumentation dient in erster Linie dem Zweck, durch die Aufzeichnung des Behandlungsgeschehens eine sachgerechte therapeutische Behandlung und Weiterbehandlung zu gewährleisten.
Ohne eine Dokumentation bestünde die Gefahr, dass wichtige Informationen, etwa Ergebnisse von Untersuchungen, in Vergessenheit geraten und damit verloren gehen könnten. Weiterhin sichert die Dokumentation die Möglichkeit, einen anderen Behandelnden zu konsultieren und diesem die Anamnese umfassend und vollständig vorzutragen.
Weiterer Zweck der Dokumentation ist die Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Patienten, die durch die Pflicht des Behandelnden, Rechenschaft über den Gang der Behandlung zu geben, erreicht wird.
Schließlich spielt eine letzte Funktion der Dokumentation, die faktische Beweissicherung, für den Fall eines etwaigen Behandlungsfehlers eine maßgebliche Rolle. Unterlässt der Behandelnde die Dokumentation einer medizinisch wesentlichen Information oder Maßnahme, so greift zu seinen Lasten die besondere Beweislastregelung des § 630h Absatz 3 ein.
61. Darf ich neben der Behandlungsakte noch eigene Aufzeichnungen führen?
Es soll keine behandlungsbezogenen Aufzeichnungen „neben“ der Behandlungsakte geben. Niederschriften über persönliche Eindrücke oder subjektive Wahrnehmungen des Behandelnden betreffend die Person des Patienten sind dem Patienten grundsätzlich offen zu legen.
Dass diese Rechtslage noch Raum für „eigene Aufzeichnungen“ lässt, erscheint möglich, wenn auch eher theoretisch: Aufzeichnungen über das eigene berufliche Verhalten z.B. für die Supervision sind auch dann kein Teil der Behandlungsakte und damit nicht einsichtsfähig, wenn sie anlässlich einer bestimmten Heilbehandlung gefertigt wurden. Jedoch muss der Grenzziehung, wann es um eigene Aufzeichnungen geht, für die die Patientendaten nur noch dahinter verblassender Anlass waren und wann in den (vermeintlich) eigenen Aufzeichnungen doch noch schutzwürdige Daten des Patienten stecken, mit besonderer Aufmerksamkeit erfolgen.
62. Müssen ausnahmslos alle Sitzungsmitschriften in die Akte?
Dies bemisst sich an der Vollständigkeit einer Akte. Gehen Sitzungsmitschriften über das Erforderliche gem. § 630f Abs.2 hinaus, so steht es nach hier vertretener Auffassung dem Psychotherapeuten frei, die Sitzungsmitschriften auf das erforderliche Maß in die Behandlungsakte zusammenzufassen bzw. zu kürzen und die Mitschriften zu vernichten.
Solange aber die Sitzungsmitschriften existieren, gehören sie auch dann in die Behandlungsakte und unterliegen dem Einsichtsrecht des Patienten, wenn sie über das Maß des Erforderlichen hinausgehen.
Ob in den engen Grenzen, wie sie das Bundesverfassungsgericht aufgezeichnet hat, die Persönlichkeitsrechte des Behandelnden doch ausnahmsweise überwiegen können, erscheint zwar nicht ausgeschlossen, ist aber durch das Patientenrechtegesetz nochmals erschwert worden.
63. Wann muss dokumentiert werden?
Die Eintragungen in die Patientenakte sollen zur Vermeidung von Unrichtigkeiten nach Absatz 1 Satz 1 in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung vorgenommen werden. Der Behandelnde kann die dokumentationspflichtige Maßnahme sowohl in Papier- als auch in elektronischer Form vermerken.
64. Darf ich meine Dokumentation später abändern?
Ja. Neu ist die Pflicht nach Absatz 1 Satz 2, nachträgliche Änderungen, Berichtigungen oder Ergänzungen der Dokumentation und deren Zeitpunkt kenntlich zu machen. Ziel ist es, eine fälschungssichere Organisation der Dokumentation sicherzustellen. Die Beweissicherungsfunktion soll der Patientenakte dadurch gewährleistet werden, dass die Dokumentation nur in der Weise geändert oder berichtigt werden darf, dass der ursprüngliche Inhalt weiterhin erkennbar ist. Daher muss im Falle einer elektronisch geführten Patientenakte die eingesetzte Software-Konstruktion gewährleisten, dass nachträgliche Änderungen erkennbar werden.
Der ursprüngliche Inhalt der Akte muss erkennbar bleiben.
65. Was muss dokumentiert werden?
In § 630f Absatz 2 soll bestimmt werden, was in der Patientenakte dokumentiert werden muss. Dies sind die für die Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse, die aus der fachlichen Sicht des Behandelnden für die Sicherstellung der derzeitigen oder einer künftigen Behandlung wesentlich sind bzw. sein können. Die Regelung benennt insoweit exemplarisch und nicht abschließend die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen sowie die Aufklärung. Schließlich sollen gemäß Absatz 2 Satz 2 Arztbriefe als Transferdokumente, die der Kommunikation zwischen zwei Behandelnden dienen und Auskunft über den Gesundheitszustand des Patienten geben, in die Patientenakte aufgenommen werden. Gleiches gilt für etwaige elektronische Befundergebnisse wie Videoaufnahmen.
66. Wie lange muss die Behandlungsakte aufbewahrt werden?
Weiterhin 10 Jahre, jetzt (auch) gem. § 630f Abs.3 BGB. In der Gesetzesbegründung heißt es in Abweichung vom Gesetzestext weiter: „Soweit es der Zweck der Dokumentation, etwa der gesundheitliche Zustand des Patienten oder die Gegebenheiten im Einzelfall jedoch erfordern, kann die Aufbewahrungsfrist des Absatzes 3 allerdings auch weit über zehn Jahre hinausgehen. Dies kann insbesondere unter Berücksichtigung der Verjährung von zivilrechtlichen Ansprüchen des Patienten gelten, die nach der Höchstverjährungsfrist des § 199 Absatz 2 erst nach 30 Jahren verjähren können.“
67. Wann darf der Patient die Behandlungsakte einsehen?
§ 630g bestimmt keine bestimmten Zeiten, so dass anzunehmen ist, dass das Einsichtsrecht jederzeit, auch während der Psychotherapie ausgeübt werden darf.
68. Besteht das Akteneinsichtsrecht bezüglich der ganzen Akte?
Ja, im Laufe des Gesetzgebungsverfahren ist bewusst ausdrücklich eingefügt worden, dass das Einsichtsrecht die „vollständige“ Akte erfasst. Das gilt jedoch nicht, soweit eine der gesetzlichen Ausnahmen greifen.
69. Was sind „erhebliche therapeutische Gründe“, die der Akteneinsicht entgegenstehen können?
In diesen besonderen Einzelfällen ist es erforderlich, dass die zu berücksichtigenden Belange sorgfältig ermittelt und auf konkrete und substantiierte Anhaltspunkte gestützt werden können. Ziel dieser Einschränkung ist der Schutz des Patienten vor Informationen über seine Person, die ihm erheblich schaden könnten. Dies dürfte insbesondere für Fälle relevant sein, bei denen die uneingeschränkte Einsichtnahme in die Dokumentation mit der Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen (Selbst-)Schädigung des Patienten verbunden sein kann. Ist der Gesundheitszustand des Patienten allerdings stabil und ist mit der Einsichtnahme in die Dokumentation keine erhebliche gesundheitliche Schädigung des Patienten zu befürchten, darf der Behandelnde die Einsichtnahme nicht verwehren. Insoweit ist dem mündigen Patienten das Recht zuzugestehen, eigenverantwortlich über die Frage entscheiden zu dürfen, wie viel er wissen möchte und wo die Grenzen seines Informationsbedürfnisses erreicht sind. Es ist nicht die Aufgabe des Behandelnden, diese Frage an Stelle des Patienten zu entscheiden und diesen im Ergebnis zu bevormunden.
Bestehen hingegen Zweifel daran, ob der gesundheitliche Zustand des Patienten die Einsichtnahme seiner Patientenakte zulässt, ohne dass eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung des Patienten zu befürchten ist, so darf der Behandelnde die Einsichtnahme nicht per se verweigern. Erforderlich ist vielmehr eine Entscheidung im Einzelfall unter Abwägung sämtlicher für und gegen die Einsichtnahme sprechenden Umständen im Hinblick auf die Gesundheit des Patienten. Möglicherweise kommt eine durch den Behandelnden unterstützende oder auch begleitende Einsichtnahme in Betracht; auch könnte eine dritte Person dem Patienten vermittelnd für die Einsichtnahme zur Verfügung gestellt werden. Maßgebend sind die Umstände im Einzelfall.
70. Kann/muss ich stets die Akteneinsicht verweigern, soweit schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen?
Ja, dies war schon bislang so und wird auch in § 630f Abs.1 berücksichtigt. Allerdings bedarf es noch der Erörterung, ob der Einschränkung auf „erhebliche“ Rechte Dritter eigenständige Bedeutung zukommt oder ohne weitere Absichten lediglich dem Umstand entspringt, dass der Gesundheitsausschuss am Wortlaut des ersten Gesetzesentwurfs eine kleine Änderung vorgenommen hat.
Theoretisch denkbar wäre es, mit dem Merkmal der Erheblichkeit eine Abwägung darüber zu eröffnen, ob im Einzelfall die Rechte Dritter, die immerhin anlässlich und im Rahmen der Behandlung des Patienten entstanden, dem Einsichtsinteresse des Patienten weichen müssen. Allerdings würde damit eine bislang nicht erforderliche Einzelfallabwägung eingeführt werden und angesichts dessen wäre eine nähere Erläuterung in der Gesetzesbegründung erwartbar. Da eine solche fehlt erscheint es deutlich wahrscheinlicher, dass mit der Erheblichkeit lediglich die Schutzwürdigkeit der Persönlichkeitsrechte Dritter gemeint ist, die sich aus der gesetzlichen Wertung des § 203 StGB aber in aller Regel kategorisch ergibt. Nach hiesiger Auffassung sind daher alle der Schweigepflicht unterfallenden Geheimnisse Dritter erheblich und nicht vom Patienten im Rahmen seines Einsichtsrechts erfahrbar.
71. Können die Erziehungsberechtigten Akteneinsicht gegen den Willen des Minderjährigen verlangen?
Diese Frage beantwortet das Patientenrechtegesetz nicht. Zu dieser Frage gibt es kaum Rechtsprechung und die Rechtsliteratur ist vielgestaltig. Die eher konservative Auffassung bejaht die Frage (und Teile dieser Vertreter sind insoweit konsequent, als sie ohnehin dem Mj. auch bei der Einwilligung in die Heilbehandlung nicht einmal ein Vetorecht einräumen). Es scheint sich aber langsam diejenige Auffassung zur herrschenden Rechtslehre zu entwickeln, die dem Minderjährigen ab Einwilligungsfähigkeit das Recht zubilligt, die Akteneinsicht der Erziehungsberechtigten verhindern zu können. Ähnlich und etwas vorsichtiger ist die Rechtsauffassung, nach der zwar das Elternrecht und das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen abgewogen werden müssen, wegen der bereits vorliegenden Einwilligungsfähigkeit und mit zunehmenden Alter das Elternrecht aber zurückweichen muss und nur noch ausnahmsweise z.B. bei schwerwiegenden Informationen, wie etwa Schulabbruch oder Ausschlagung einer Erbschaft überwiegt.
Nach hiesiger Auffassung kann die Rechtsprechung zur Einwilligung Minderjähriger bzw. deren Vetorecht gegen eine Heilbehandlung nicht einfach auf die vorliegende Frage zum informationellen Selbstbestimmungsrecht übertragen werden.
72. Kann man die Akteneinsicht mit eigenen überwiegenden Persönlichkeitsrechten ablehnen?
§ 630g Abs.1 schränkt das Akteneinsichtsrecht ein, „soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen“. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hat sich der Wortlaut hier leicht verändert: Im ersten Entwurf gab es noch „sonstige erhebliche Gründe“. Vor diesem Hintergrund erscheint zweifelhaft, ob folgende Passage aus der Begründung des ersten Gesetzesentwurfs noch Relevanz hat: „Ein begründetes Interesse des Behandelnden an der Nichtoffenbarung solcher Aufzeichnungen ist, in Abwägung zu dem Persönlichkeitsrecht des Patienten, im Regelfall nicht gegeben. Auch hier kommt es aber auf die Umstände im Einzelfall an.“
Ob aber aus dieser Entwicklung während des Gesetzgebungsverfahrens abgeleitet werden muss, dass nun der Gesetzgeber eigene Interessen des Behandelnden kategorisch ausschließen wollte, erscheint nicht zwingend. Der Begründung zur Ausschussempfehlung ist dies jedenfalls nicht zu entnehmen.
Nichtsdestotrotz reicht die neue Rechtslage keinesfalls weiter als das, was die Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung der vergangenen Jahre an engem Raum für diese Argumentation übrig gelassen hat. Hergeleitet werden müsste dies allerdings nun wohl über eine verfassungskonforme Reduktion des § 630g Abs.1 BGB.
73. Heißt das, dass Persönlichkeitsrechte des Behandelnden bezüglich der Akte nicht mehr bestehen?
Nein, in der subjektiven Gestaltung und Führung der Akte kommt natürlich weiterhin die Persönlichkeit des Psychotherapeuten zum Ausdruck und es wird durch die Verfassungsgerichtsrechtsprechung und die aktuelle Gesetzeslage in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Psychotherapeuten eingegriffen. Allerdings eben nahezu stets in rechtmäßiger Weise, weil weitgehend kategorisch die Persönlichkeitsrechte des Patienten für überwiegend gehalten werden.
Wenn aber z.B. der Patient die Inhalte Ihrer Akte im Internet veröffentlichen würde, stellt sich die Abwägung ganz anders dar und in dem Fall dürfte das Persönlichkeitsrecht des Behandelnden regelmäßig überwiegen, so dass die Veröffentlichung rechtswidrig wäre.
74. Wer hat das Recht der Akteneinsicht bei verstorbenen Patienten?
Bei vermögensrechtlichen Interessen sind es die Erben, bei immateriellen Interessen die nächsten Angehörigen. Dies erscheint wenig praktikabel, wenn man nur an Erbstreitigkeiten denkt und der Inhalt der Akte z.B. zum Spielball für den Streit über die Testierfähigkeit werden soll. Unklar ist auch wer „nächster Angehöriger“ ist und welchen „immateriellen Interessen“ relevant sein sollen. Jedenfalls muss wie bislang der mutmaßliche Wille des Patienten ermittelt werden. Ggf. genügt es vor Gericht nicht, lediglich vorzutragen, dass der mutmaßliche Wille der Akteneinsicht des Klägers entgegensteht, sondern die Begründung dafür muss dem Gericht soweit skizziert werden, dass es die Richtigkeit der Behauptung überprüfen kann.
75. Muss ich die Akte schon in Hinblick auf eine mögliche Akteneinsicht für Laien verständlich führen und formulieren?
Soweit ersichtlich wird dies im Patientenrechtegesetz weder direkt noch indirekt vorgeschrieben. Nach hiesiger Auffassung bedeutet der Dokumentationszweck der Rechenschaft gegenüber dem Patienten nicht, diesen mit der Akte quasi vollumfänglich nachträglich aufzuklären (und nur für die Aufklärung ist das „Verständlichkeitsgebot“ geregelt). Es dürfte die ältere Rechtsprechung fortgelten, wonach die Akte fachlich gestaltet und Fachvokabular verwendet werden darf.
76. Wo soll die Akteneinsicht stattfinden?
Gem. § 611 Abs. 1 Satz 2 soll § 811 entsprechend anwendbar sein, so dass die Einsichtnahme an dem Ort zu erfolgen hat, an welchem sich die einzusehenden Unterlagen oder Dokumente befinden. Eine Einsichtnahme an einem anderen Ort kann der Patient nur im Falle eines „wichtigen Grundes“ verlangen. Dies dürfte zum Bespiel bei einer nicht unerheblichen Erkrankung des Patienten oder aufgrund eines Umzuges des Behandelnden der Fall sein.
77. Darf der Patient die Akte heraus verlangen oder Kopien oder gar eine elektronische Kopie verlangen?
Die Patientenakte steht im Eigentum des Behandelnden und muss grundsätzlich nicht herausgegeben werden (bei wichtigem Grund aber Einsicht anderorts möglich).
§ 630f Abs. 2 gibt dem Patienten das Recht, Abschriften von der Patientenakte zu verlangen. Der Patient hat ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis des Inhalts der Akte. Die Abschriften können sowohl von einer in Textform erstellten Dokumentation als auch von elektronischen Dokumenten und gegebenenfalls auch in Form maschinenlesbarer Datenkopien oder Dateien in elektronischer Form angefertigt werden. Mithin kann ein Behandelnder auch verpflichtet sein, dem Patienten die Kopie einer Videoaufnahme auszuhändigen.
In Übereinstimmung mit § 811 Absatz 2 Satz 1 hat der Patient die Kosten für die Abschriften oder Kopien selbst zu tragen. Der Behandelnde darf die Kopien bis zur Begleichung der Kopierkosten zurückbehalten. 50 Cent pro Kopie hält die Rechtsprechung für nicht unangemessen; auf eine Aufforderung zur Übersendung von Kopien braucht vorgerichtlich nicht reagiert zu werden, wenn nicht der Vorschuss der zu erwartenden Kosten angeboten wird.
78. Meine Berufsordnung regelt die Dokumentation und die Akteneinsicht genauer und vielleicht abweichend von § 630f BGB, welche Regelung gilt für mich?
Es kann sein, dass vorübergehend die Berufsordnung von Regelungen des Patientenrechtegesetzes abweicht. Das Gesetz geht vor. Die Kammern werden soweit nötig die Berufsordnungen der Gesetzeslage anpassen und dies vermutlich nicht erst in ein paar Jahren, zumal sich die Gelegenheit bietet, die Vorgaben des Patientenrechtegesetzes zu konkretisieren.
79. Was gilt grundsätzlich zur Beweislast?
Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruches im Einzelnen darzulegen und im Streitfall zu beweisen sind. Beweispflichtig ist die Person, die sich auf die für sie günstigen Voraussetzungen beruft. Möchte der Patient etwa einen Schadensersatzanspruch gegen den Behandelnden durchsetzen, muss er grundsätzlich den Abschluss eines Behandlungsvertrages, die fehlerhafte Behandlung durch den Behandelnden im Sinne einer Pflichtwidrigkeit nach § 280 Absatz 1, seinen Schaden und die Ursächlichkeit der fehlerhaften Behandlung für seinen Schaden beweisen.
80. Was für Sonderregeln zur Beweislast schreibt das Gesetz fest?
Dies führt § 630h auf:
„(1) Ein Fehler des Behandelnden wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.
(2) Der Behandelnde hat zu beweisen, dass er eine Einwilligung gemäß § 630d eingeholt und entsprechend den Anforderungen des § 630e aufgeklärt hat. Genügt die Aufklärung nicht den Anforderungen des § 630e, kann der Behandelnde sich darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte.
(3) Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis entgegen § 630f Absatz 1 oder Absatz 2 nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder hat er die Patientenakte entgegen § 630f Absatz 3 nicht aufbewahrt, wird vermutet, dass er diese Maßnahme nicht getroffen hat.
(4) War ein Behandelnder für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt, wird vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war.
(5) Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war. Dies gilt auch dann, wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre.“
81. Warum ist die Beweislastverteilung so wichtig?
Weil ein Behandlungsfehler bzw. seine Kausalität für den Schaden kaum beweisbar sind. Dafür ist das gesundheitliche Geschehen zu komplex. Die Beweisführung ist gleichermaßen schwer, egal ob der Patient Behandlungsfehler und Kausalität beweisen muss oder umgekehrt der Psychotherapeut beweisen muss, dass ein Behandlungsfehler nicht vorlag bzw. für den Schaden nicht kausal war. Deshalb verliert häufig derjenige den Haftungsprozess, den die Beweislast trifft.
82. Das neue Gesetz regelt nichts zur Kündigung eines Behandlungsvertrags, was gilt?
Voraussetzung für die (Fortführung der) Heilbehandlung sind sowohl ein wirksamer Behandlungsvertrag, als auch eine wirksame Einwilligung. Entfällt auch nur eine der beiden Voraussetzungen, muss die Behandlung abgebrochen werden.
Vertraglich kann ein Behandlungsvertrag gem. § 630b i.V.m. § 627 jederzeit fristlos gekündigt werden. Bezogen auf die Einwilligung kann die Einwilligung gem. § 630d Abs.3 jederzeit ohne Angaben von Gründen formlos widerrufen werden.
Bei erwachsenen Patienten ist diese Unterscheidung praktisch weitgehend belanglos.
Unklar bleibt aber auch an dieser Stelle die Behandlung von Mj und zwar in der Variante, wenn drei Beteiligte (Minderjähriger und zwei Eltern) über die Fortführung der Therapie unterschiedlicher Auffassung sind. 83. Ändert das Gesetz etwas an der Kostenerstattung bei Systemversagen?
Ja, die Krankenkasse muss den Antrag auf ausnahmsweise Kostenerstattung bei Systemversagen (wenn also ein Patient nicht in angemessener Zeit einen Therapieplatz bei zugelassenen Psychotherapeuten bekommt) innerhalb von 3 bzw. 5 Wochen bescheiden. Die längere Frist von 5 Wochen gilt nur, wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere beim MDK einholt.
Geregelt sind auch Fristen für die Krankenkasse und den Gutachter, die aber innerhalb der 5 Wochen liegen.
Ob die Rechtslage eine Verbesserung ist, erscheint eher zweifelhaft. Recht groß scheint das Risiko, dass die Krankenkasse unter Zeitdruck lieber ablehnt und dann abwartet, ob der Patient Widerspruch einlegt.
84. Wo finde ich Quellen zum Patientenrechtegesetz?
a) Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25.5.2011
b) Beschlussempfehlung des Bundestagsgesundheitsausschusses vom 28.11.2011
c) Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt.
d) Abgelehnter Gegenantrag der SPD