In einem internen fünfseitigen „Konzeptpapier zur Weiterentwicklung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung“ wirft der vdek den Psychotherapeuten unter anderem vor, „bevorzugt leichte Fälle“ zu übernehmen. Dies gehe aus der Auswertung der Abrechnungsdaten hervor. Zudem dauerten Psychotherapien – vor allem tiefenpsychologisch fundierte und psychoanalytische Therapien – häufig sehr lange. Und nicht immer sei die dem Patienten angebotene Therapieform „zur Behandlung seiner Erkrankung sinnvoll und notwendig“. Darüber hinaus liege der Anteil der Gruppentherapien bei niedergelassenen Psychotherapeuten bei lediglich ein bis zwei Prozent. Dies sei darin begründet, dass die Therapeuten den „zeitlichen und finanziellen Aufwand einer Weiterqualifizierung“ zur Gruppentherapie, mit der mehr Patienten schneller geholfen werden könne, „scheuten“. In den beschriebenen Faktoren sieht der vdek die „unbefriedigende Wartezeitsituation“ begründet. Des Weiteren plädiert der vdek für eine Abschaffung des qualitätssichernden Gutachterverfahrens.
Der VPP weist die Vorwürfe des vdek entschieden zurück! Erst kürzlich hatte die Techniker Krankenkasse, die Mitglied des vdek ist, Zahlen veröffentlicht, nach denen etwa 25 Prozent der Patienten eine „eher leichte psychische Erkrankung“ – wie beispielsweise eine leichte depressive Episode oder Anpassungsstörung – hätten. Bei Betrachtung dieses Anteils ist wohl kaum von einer Bevorzugung leichter Fälle zu sprechen. Darüber hinaus ist die vom vdek kritisierte Behandlung weniger schwerwiegender Störungen fachlich durchaus als richtig anzusehen – denn diese können sich, wenn sie unbehandelt bleiben, zu chronischen und schweren seelischen Erkrankungen mit den entsprechenden Folgeschäden entwickeln. Und diese Gefahr besteht ganz gewiss, wenn, wie vom vdek vorgeschlagen, durch entsprechende „Anreize im Vergütungssystem“ die „Behandlung eher leichterer Fälle gestoppt“ wird. Derartige Vorschläge grenzen an eine Respektlosigkeit gegenüber den betroffenen Patienten: Diese haben es ganz sicher nicht „leicht“ und gehen den Weg zum Psychotherapeuten nicht ohne Grund.
Auch bezüglich der Gruppentherapien plädiert der vdek für „verstärkte Anreize“ für Psychotherapeuten. Doch so begrüßenswert und sinnvoll eine Gruppenpsychotherapie sein kann, muss doch klargestellt werden, dass sie nicht für jeden Patienten geeignet ist.
Pauschale Einsparungen, wie sie die Krankenkassen offensichtlich durch vermehrten Einsatz von Gruppentherapien planen, sollten auf keinen Fall auf diese Weise und unter Gefährdung von Therapieerfolgen realisiert werden.
Kosteneinsparungen scheinen auch das wesentliche Ziel der vorgeschlagenen Abschaffung des Gutachterverfahrens und der Einrichtung „intelligenter Koordinierungsstellen“ zu sein. Denn in diesen hätten die Kassen mehr als bisher mitzureden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es weniger um Qualitätssicherung als vielmehr darum geht, die eigenen Vorstellungen über die Bewilligung einer Therapie und deren Voraussetzungen anzuwenden.
In einem Punkt stimmt der VPP mit dem Konzeptpapier des vdek überein: Die Wartezeiten auf Erstgespräche und Therapieplätze müssen in der Tat verkürzt werden. Denn tatsächlich können sie neben unnötigem Leiden „vermehrte stationäre Aufenthalte sowie verlängerte Ausfallzeiten durch Arbeitsunfähigkeit“ mitbedingen.
Die Schuld an der Wartezeitsituation kann jedoch nicht bei den derzeit niedergelassenen Psychotherapeuten gesucht werden. Der VPP mahnt seit langem an: Die auf den veralteten Zahlen von 1999 beruhende Bedarfsplanung für die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen muss der wirklichen Notwendigkeit angepasst werden. Nur so können notwendige Therapieplätze geschaffen und Wartezeiten verkürzt werden.
Marcus Rautenberg