Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Aktueller Faber/Haarstrick Kommentar: Stille Öffnung der TP zugunsten traumatisierter Patienten

Der „Faber/Haarstrick“ ist den meisten Richtlinien-Psychotherapeuten vom Namen her bekannt, aber was genau darin steht und was seine Zielsetzung ist, bleibt vielen häufig unklar. Nicht selten verstaubt der „Faber/Haarstrick“ im Bücherregal. Insbesondere für in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie traumatherapeutisch tätigen Psychotherapeuten lohnt sich jedoch derzeit der Blick in die neueste Ausgabe.

Aber welche Aufgabe kommt eigentlich dem Faber/Haarstrick-Kommentar genau zu?
Der Faber/Haarstrick-Kommentar folgt der Zielsetzung, die Psychotherapie-Richtlinien zu verdeutlichen, indem er deren Wortlaut aus Expertensicht kommentiert und sachlich erläutert. Die Autoren haben dabei über ihren Interpretationsspielraum der Psychotherapie-Richtlinien hinaus auch die Aufgabe, über ihre Kommentierungen Gesetz und Versorgungsrealität aus Expertensicht möglichst hoch miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Seit der aktuellsten, 9. Auflage des Faber/Haarstrick-Kommentars, veröffentlicht im November 2011, liegen einige kleine, aber nicht unerhebliche Änderungen vor, mit denen die Autoren des Kommentars diesem Auftrag jüngst nachkommen. Hier ist zum ersten Mal offiziell die Rede von „Modifikationen einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie“ (2011, S. 45).

Fehlende Regelungen zu traumatisierten Patienten und Traumafolgestörungen
Besonders notwendig war ein modifiziertes tiefenpsychologisch fundiertes Vorgehen bei ambulant zu behandelnden traumatisierten Patienten bzw. Traumafolgestörungen (z.B. PTBS). Besonders unklar waren aber bislang immer die Regelungen diesbezüglich in der (TP-) Antragstellung. Zum Beispiel waren traumatherapeutische Interventionen, wie z.B.  EMDR oder die Imaginative Psychodynamische Traumatherapie (PITT) nach Reddemann (2004) nicht als zulässige Methoden in die Psychotherapie-Richtlinien mit aufgenommen, was - wie sich auch in meiner supervisorischen Praxis zeigte - immer wieder zu Schwierigkeiten bis hin zu Ablehnungen führen konnte, wenn diese im Bericht offen in der Therapieplanung mit aufgeführt wurden (s. Jungclaussen 2009).
Die Situation in der Praxis, dass dieses abzuwandelnde Vorgehen bei Traumastörungen aber besonders indiziert ist, hat jetzt erstmals in der Geschichte des Faber/Haarstrick Kommentars dazu geführt, dass traumatherapeutische Interventionen in der TP als zulässig erachtet werden. So heißt es genauer: „In der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie können bei gesicherter Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) traumatherapeutische Interventionen indiziert sein. Diese Interventionen müssen jeweils in eine tiefenpsychologisch fundierte Gesamtkonzeption integriert sein.“ (2011, S. 44)
Dass traumatherapeutische Interventionen unter den o. g. und zu beachtenden (!) Voraussetzungen nun offiziell laut dem Faber/Haarstrick mit der TP vereinbar und diese Interventionen als zulässig und somit richtlinienkonform angewandt werden dürfen, kann als ein kleiner Paradigmenwechsel innerhalb der Kommentierung der PT-Richtlinien durch den Faber/Haarstrick angesehen werden.

Änderung könnten zur besseren Annahme des Gutachterverfahrens führen
Es ist äußerst begrüßenswert, dass durch die Neuregelung die lang bestehende und mehrfach berufspolitisch sowie in der Literatur (u. a. Ermann 2004; Jungclaussen 2009) beklagte Unklarheit und Verunsicherung über die Vereinbarkeit von traumatherapeutischen Interventionen mit den PT-Richtlinien nun endlich geklärt werden konnte. Diese bessere Praxisnähe könnte auch zu einer Einstellungsverbesserung vieler Kollegen gegenüber dem Gutachterverfahren führen. Auch wenn sich der Faber/Haarstrick erst jetzt zu dieser Neuregelung hat durchringen können, ist es doch nachvollziehbar, dass seine Mühlen langsam mahlen können. Muss er doch einen nicht leichten Spagat schaffen zwischen Kontinuität und Gesetzestreue auf der einen und Realitätsanpassung auf der anderen Seite. Es empfiehlt sich diesen Spagat in den Folgeauflagen auch zu anderen Punkten – zum Beispiel Zulässigkeit von suggestiven und übenden Techniken in der TP- aufmerksam zu verfolgen.

Ingo Jungclaussen ist Diplom-Psychologe
VPP Mitglied und Gründer von „pro-bericht“. Er ist in freier Praxis in Köln tätig und erster Vorsitzender von Rückhalt e.V.