Eine alte Mär besagt, dass Psychotherapeuten ihre Kassenpraxen bei weitem nicht voll auslasten und somit als eine Art „Hobbypraxen“ betreiben. Diese Geschichte ist nun durch objektive Zahlen (PDF) zu den „Tätigkeitsumfängen in der vertragsärztlichen Versorgung“) widerlegt. Veranlasst wurde dies durch eine Kleine Anfrage (PDF) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.
Es zeigte sich, dass die Mehrheit der Psychotherapeuten 20-23 Wochenstunden Psychotherapie leistet und somit auf eine Wochenarbeitszeit von 30-36 Stunden kommt. Schließlich sind Therapieplanung, Fortbildung, Supervision und Berichterstellung sowie Diagnostik auch nicht zu vernachlässigen und machen neben Qualitätssicherung und Praxisorganisation mindestens ein Drittel der gesamten Arbeitszeit aus. Zudem können Psychotherapeuten im Gegensatz zu Ärzten bei Krankheit oder Urlaub keine Vertreter beschäftigen und können kaum Leistungen delegieren. Auch dies drückt den Durchschnitt der Arbeitszeiten nach unten.
Zunächst gilt es zu definieren, was eine normale Auslastung einer Kassenpsychotherapiepraxis umfasst: nach Bundesmantelvertrag ist ein Vertragsbehandler mit vollem Versorgungsauftrag dazu verpflichtet, mindestens 20 Wochenstunden Sprechstunden für PatientInnen vorzuhalten, bei einer halben Zulassung 10 Wochenstunden. Eine Therapiesitzung á 50 Minuten wird rechnerisch mit weiteren 20 Minuten Vor- und Nachbearbeitungszeit angesetzt.
Die Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums belegen nun Folgendes: Psychotherapeuten im ländlichen Raum und im Osten Deutschlands arbeiten sogar überdurchschnittlich viel. Der Anteil der Psychotherapeuten, die mehr als überdurchschnittlich viele Versicherte versorgen, liegt in Mecklenburg-Vorpommern bei 61,4 Prozent, in Thüringen bei 59,3 Prozent und in Sachsen-Anhalt bei 58,4 Prozent. Geringer fällt dies in den besser versorgten Großstädten aus: in Hamburg sind es 26,1 Prozent der Psychotherapeuten, in Bremen 18,4 Prozent und in Berlin 17,7 Prozent der Psychotherapeuten, die mehr als die durchschnittliche Patientenzahl ihrer Fachgruppe behandeln. Vermutlich liegt die weit überdurchschnittliche Tätigkeit in den neuen Bundesländern an dem hohen Nachfragedruck in diesen mit Psychotherapie massiv unterversorgten Landstrichen. Psychotherapeuten reagieren also sehr wohl auf den hohen Bedarf. Dennoch liegen die Wartezeiten in Mecklenburg-Vorpommern trotz des hohen Engagements der Kollegen noch bei 4,5 Monaten.
Auch im Vergleich mit anderen Arztgruppen stehen Psychotherapeuten für gesetzlich krankenversicherte Patienten viel zur Verfügung: Nur 3,1 Prozent der Psychotherapeuten arbeiten weniger als 60 Stunden im Quartal. Im Vergleich dazu beträgt der Prozentsatz bei den Hausärzten 4,8 Prozent, bei Chirurgen 6,6 Prozent und bei Augenärzten 9,5 Prozent. Es zeigt sich also, dass der Vorwurf, Psychotherapeuten würden der Versorgung zu wenig zur Verfügung stehen, geradezu absurd ist. Vielmehr leisten z. B. in Hamburg 50% und in Thüringen 65,1 % der Psychotherapeuten mehr als 24 Therapiestunden pro Woche. Die Zahlen zeigen die Realität und sollten bei der Reform der Bedarfsplanung berücksichtigt werden.
Interessant ist weiter die Tatsache, wie die Möglichkeit eines halben Vertragsarztsitzes genutzt wird. Die Psychotherapeuten sind hier Spitzenreiter, denn von 21.775 Vertragspsychotherapeuten verfügen 1.286 über eine halbe Zulassung (entspricht 5,9 %) und dürfen entsprechend nur im Umfang eines halben Versorgungsauftrags behandeln. Hingegen haben lediglich 0,7 Prozent aller Hausärzte und 1,9 Prozent aller Fachinternisten einen halben Praxissitz. Im Durchschnitt verfügen nur 2 Prozent aller Ärzte über eine halbe Zulassung.
Trotzdem gibt es aus Sicht des VPP hier noch Spielraum: mindestens die Kollegen, die unter 60 Stunden im Quartal arbeiten, könnten wahrscheinlich einen halben Praxissitz abgeben. Jedoch muss man hier den Einzelfall betrachten, warum das so ist. Vielleicht hat jemand nur vorübergehend seine Arbeitszeit reduziert, z.B. wegen Kindererziehung oder zur Pflege eines Angehörigen und möchte oder muss zu einem späteren Zeitpunkt wieder voll arbeiten. Hier brauchte es nach Ansicht des VPP flexiblere Lösungen beim Jobsharing, wie schon lange gefordert. Wer allerdings dauerhaft seine Arbeitszeit reduzieren möchte, sollte ernsthaft überlegen, eine Hälfte seiner Zulassung an den Nachwuchs abzugeben.
Uschi Grob
Fachreferentin des VPP im BDP