Die Petition gegen den Regulationsparagraphen (Paragraf 92 Absatz 6a, Sozialgesetzbuch V) im TSVG-Entwurf unterstützten 217.000 Mitzeichner. Am vergangenen 14.01.2018 kam es zu einer öffentlichen Anhörung der Petentin Ariadne Sartorius (bvvp) im Petitionsausschuss.
Frau Sartorius argumentierte, eine vorgeschaltete Instanz würde den Zugang zur Versorgung nur erschweren. Psychisch Kranke müssten hoch schambesetzte seelische Belastungen gegenüber Behandlern darstellen, die sie danach in der Regel nicht wiedersehen werden und die sie nicht selbst nach Vertrauensgesichtspunkten gewählt haben. Mit der Einführung einer zusätzlichen Instanz würden darüber hinaus auch Behandlungskapazitäten gebunden werden. "Es ist eine Diskriminierung psychisch kranker Menschen und ein erster Schritt zur Abschaffung der freien Arztwahl". "Das werden wir nicht hinnehmen."
Frau Sartorius verwies auf die im April 2017 eingeführten Richtlinienänderungen mit den Leistungen Sprechstunde, Akutbehandlung und Rezidivprophylaxe, welche bereits eine Steuerungsmöglichkeiten darstellen: Akut Erkrankte gelangten hierdurch schneller in eine Behandlung. Wenn keine behandlungsbedürftige Erkrankung als Sprechstundenresultat vorliege, werden Betroffene in der Sprechstunde z.B. an Selbsthilfe oder Beratungsstellen, weitergeleitet. Erfolge dieser Strukturreform zeichneten sich bereits ab. Eine zusätzliche Prüfung des Behandlungsbedarfs, wie im TSVG vorgesehen, sei deshalb „kontraproduktiv“. „Es entsteht nicht nur ein zweites Nadelöhr vor der eigentlichen Behandlung. Diagnose und Behandlungsindikation müssen von dem dann behandelnden ärztlichen oder Psychologischen Psychotherapeuten obligat nochmal durchgeführt werden.“ Dies stelle zudem die Kompetenz der Behandler infrage. Die Petentin wehrte sich auch gegen den Vorwurf, „die falschen Patienten“ zu behandeln: „90 Prozent unserer Patienten sind mittelschwer bis schwer psychisch krank, das wurde bereits in diversen Studien festgestellt.“
Sartorius forderte, dass eine bessere Vernetzung und Koordination in der Versorgung von Patienten mit komplexen psychischen Störungen notwendig sei, wie z.B. der NPPV-(neurologisch-psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungs-)Vertrag in der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Ein feststehender Bezugsarzt- oder -psychotherapeut fungiere als „Kümmerer“ und lotse die Patienten durch die Versorgung.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gab an, man könne gerne über eine andere Begrifflichkeit reden. Ihm gehe es „nicht per se um eine zusätzliche Instanz“. Aber „Lotsen, Bezugsärzte- oder-psychotherapeuten“ sollten eventuell auch „neben der psychotherapeutischen Sprechstunde“ mithelfen, Patienten bedarfsgerecht zu versorgen. Genaueres müsse der G-BA in der Ausgestaltung der Richtlinien regeln. "Ich schließe nicht aus, dass wir andere Regelungen finden", sagte Spahn am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin.
Jens Spahn gab an. „Es ist nicht richtig, wenn alle Patienten sofort zum Psychotherapeuten geschickt werden“. Sinnvoll sei z.B. eine Hausärztliche Koordination, wie im Programm PNP-(Psychotherapie, Neurologie und Psychiatrie-) Facharztvertrag in Baden-Württemberg.
Spahn erklärte abschließend, Ihm sei an einer besseren Steuerung durch die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung gelegen, damit Menschen mit Behandlungsbedarf besser versorgt würden. Er wiederholte in Ansätzen jedoch seine in der ZDF-Sendung Faktencheck (14.12.2018) von verschiedenen Experten (u.a. Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg) als falsch bewertete Deutung: „Wo besonders viel Psychotherapie angeboten wird, ist auch besonders viel Nachfrage.“
Erwähnen möchten wir hier, dass Bündnis90/Die Grünen bereits 2018 und nun 2019 eine kleine Anfrage zur Versorgung Psychisch Kranker, der Verbesserung der Wartezeiten auf Psychotherapie und die Auswirkungen der neuen Psychotherapierichtlinie von 2017 gestellt haben. Sie finden den Text im Anhang.
Fazit: Wir bedanken uns bei der Petentin, Ariadne Sartorius, für ihr konsequentes Einstehen für die Interessen psychisch Kranker und für unserer Berufsgruppe. Jens Spahn zeigte sich zwar bezgl. der vorgeschalteten Regulierung kompromissbereit (statt dessen eine Lotsentätigkeit neben der Sprechstunde) – hält aber an einem Regulierungsbedarf fest (und gibt dies als Auftrag an den G-BA weiter).
Bedenklich ist, dass der Gesundheitsminister nun wieder ungute Deutungen vorhandener Daten streut „Wo besonders viel Psychotherapie angeboten wird, ist auch besonders viel Nachfrage.“ (analog seiner ursprünglichen Behauptung „Mehr Psychotherapeuten schaffen mehr Nachfrage“ – welche nachgewiesener Maßen unrichtig ist) (siehe ZDF-Sendung Faktencheck)
Anfrage: Psychotherapeutische Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen (PDF)
Susanne Berwange