Stellungnahme des Verbands Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VPP) im BDP e. V. – Regionalvertretung Niedersachsen
Zur Sache:
Am 20.04.2023 informierte André Podziemski, gewählter Vertreter für die Vertreterversammlung der KVN, per Email über die beschlossene Quotierung der nichtgenehmigungspflichtigen Leistungen zum 01.04.2023.
„Honorierung unserer nicht entbudgetierten „Nichtgenehmigungspflichtigen Leistungen“ (Probatorik, Psychotherapeutisches Gespräch, Diagnostik usw.)
Es gibt eine Veränderung in dem Honorarverteilungsmaßstab (HVM), gültig ab dem 01.04.2023 (also mit der Abrechnung des 2. Quartal 2023), die uns leider deutlich negativ betrifft. Zusammen mit einigen anderen Arztgruppen wurden uns viele Jahre bestimmte budgetierte Leistungen zu 100 Prozent ausgezahlt. Dies betrifft bei uns die nicht entbudgetierten „Nichtgenehmigungspflichtigen Leistungen“. Dies war eine niedersächsische Fairnessregelung von ärztlicher Seite uns gegenüber. Nachdem Herr Lauterbach zum 01.01.2023 die Neupatientenregelung abgeschafft hat, befindet sich deutlich weniger Geld im Budgettopf. Die Vertreterversammlung hat, ebenfalls aus Fairness und im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit, beschlossen, dass wieder alle Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, entsprechend ihrer durchschnittlichen Vergütungsquote des jeweiligen Versorgungsbereichs, bei diesen Leistungshonorierungen quotiert werden. Wir gehören zu den Fachärzt*innen. Die Quote des Versorgungsbereichs Fachärzte lag in den letzten vier Quartalen bei ca. 80,7 Prozent. Somit müssen wir wahrscheinlich mit einer Reduzierung der Honorare bei den nicht entbudgetierten „Nichtgenehmigungspflichtigen Leistungen“ um ca. 19,3 Prozent rechnen. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie es sich real entwickelt.“
Welche Auswirkungen hat das auf die Berufsgruppe der Psychologischen Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen?
Die nichtgenehmigungspflichtigen Leistungen im Rahmen der Psychotherapie umfassen im Wesentlichen Leistungen, die vor oder nach der Beantragung einer Richtlinienpsychotherapie geleistet werden: Durchführung von Diagnostik, psychotherapeutische Gespräche, Grundpauschalen, aber auch Berichte an den Gutachter etc. Probatorik, Akutbehandlung und psychotherapeutische Sprechstunde sind von dieser Regelung erfreulicherweise nicht betroffen.
Wenn diese Leistungen in Zukunft quotiert werden, bedeutet dies (bei einem aktuellen Fachgruppendurchschnitt von ca. 80,7 Prozent) Honorareinbußen von 19,3 Prozent für unsere Berufsgruppe in diesem Leistungsspektrum. Bei einem Anteil von etwa 5–10 Prozent dieser Leistungen am Gesamtvolumen einer Praxis, fallen hier Einbußen von etwa 1–2 Prozent am Gesamthonorar an. Die reale Entwicklung kann noch nicht abgeschätzt werden, da der Fachgruppendurchschnitt jedes Quartal neu berechnet wird. Es bleibt jedoch bereits hier festzuhalten, dass sich eine Unsicherheit in Honorierung unserer Leistungen ergeben wird.
Warum ist diese Entscheidung nicht hinzunehmen?
André Podziemski führt in seiner E-Mail vom 20.04.2023 zwei wesentliche Begründungen der Vertreterversammlung für diese Entscheidung an:
1. Durch die Abschaffung der Neupatientenregelungf befinde sich weniger Geld im Budgettopf.
und
2. Verteilungsgerechtigkeit unter den Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen habe zum Entschluss geführt, die budgetierten Leistungen wieder zu quotieren, um die Lücke im Budget auszugleichen.
Diese beiden Argumente sind aus folgenden Gründen nicht hinzunehmen:
Zu Punkt 1. „Durch die Abschaffung der Neupatientenregelung befinde sich weniger Geld im Budgettopf.“
Die Neupatientenregelung wurde vor drei Jahren mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz eingeführt. Sie sollte dazu führen, dass Patient*innen schneller einen Termin bei Ärzt*innen oder Fachärzt*innen erhalten. Die Ärzt*innen, die neue Patient*innen aufgenommen und versorgt haben, erhielten in den letzten drei Jahren Zuschüsse dafür.
Diese Regelung konnte die Gruppe der Psychologischen Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen kaum nutzen. Unser Berufsstand konnte lediglich einen Zuschlag erhalten, wenn Termine bei der Terminservicestelle (TSS) zur Verfügung gestellt wurden. Diese Möglichkeit haben auch viele Kolleg*innen genutzt. Darüber hinaus sind die Behandlungsdauern in der ambulanten Psychotherapie deutlich länger als bei Ärzt*innen und Fachärzt*innen, sodass freie Kapazitäten seltener entstehen und Zuschläge weniger oft genutzt werden können.
Mit der Abschaffung der Neupatientenregelung zum 01.01.2023 wurde den Ärzt*innen und Fachärzt*innen eine „kleine“ Kompensationsmöglichkeit in Form der Terminvermittlung als „dingliche hausärztliche Überweisung“ angeboten. Diese wurden bisher nur selten genutzt. Das Ärzteblatt berichtet in der Aprilausgabe 2023 von 443 Terminvermittlungsfällen im ersten Quartal 2023.(1)
Wir als Berufsgruppe der Psychotherapeut*innen haben aufgrund der Art und Dauer der psychotherapeutischen Behandlungen erneut kaum Möglichkeiten, von dieser Variante zu profitieren. D. h. wir werden doppelt bestraft: Zum einen verlieren wir circa 20 Prozent unseres Honorars in einem wichtigen Leistungsspektrum, zum anderen bekommen wir keine Möglichkeit, dies nur annähernd auszugleichen.
All dies ist zudem vor dem Hintergrund zu betrachten, dass psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen bereits die im Vergleich am schlechtesten bezahlte Facharztgruppe darstellen.(4)
Dies führt zu Punkt 2: „Verteilungsgerechtigkeit unter den Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen habe zum Schluss geführt, dass die budgetierten Leistungen wieder quotiert werden, um die Lücke im Budget auszugleichen.“
Dr. Dominik von Stillfried (Vorsitzender des Zentralinstitutes für die Kassenärztliche Versorgung) gibt in einem Interview im Ärzteblatt 04/2023 an, dass der allgemeine Preisanstieg (bedingt durch die Inflation) circa 8,7 Prozent beträgt.(1) D. h., die beschlossene Honorarerhöhung von zwei Prozent gleicht dies bereits nicht aus. Zusätzlich kommen mit der o. g. Entscheidung auf die Psychotherapeut*innen circa 20 Prozent Honorarverlust zu. Wir haben keine Kompensationsmöglichkeit im Vergleich zu anderen Arztgruppen. Wer verzichtet jetzt aufgrund von Fairness wirklich?
Verpflichtend sind ebenfalls Berichte an Hausärzte – vergütet über die Grundpauschale (EBM 23211 bzw. 23212) und an den Gutachter (bei Langzeittherapien im Einzelsetting sowie Kombinationstherapien mit überwiegend Einzeltherapie; vergütet über die EBM 35131). Für einen Bericht an den Gutachter brauchen Kolleg*innen im Schnitt zwei bis drei Arbeitsstunden – die aktuelle Vergütung entspricht also bereits jetzt nicht annähernd dem tatsächlichen Arbeitsaufwand. Darüber hinaus sind Psychotherapeutische Kolleg*innen, die bereit waren, das Risiko für die Einstellung von Praxispersonal zu tragen, an diese Arbeitsverträge und die darin vereinbarten Gehälter gebunden. Diese Praxen können in eine finanziell schwierige Lage kommen. Ist das gerecht?
Prof. Karl Lauterbach hat uns just in der Sendung „Hart aber fair“, wie viele seine Vorgänger*innen, vorgeworfen, wir würden nur leichte Fälle bearbeiten. Jede Statistik widerspricht diesen Falsch-Aussagen, die Jahr für Jahr getätigt werden, um das Versagen der Gesundheitspolitik bei der Bedarfsplanung schön zu reden und den Schuldigen, wo anderes zu finden.(3) Kolleg*innen, die im Rahmen des psychotherapeutischen Gesprächs (EBM 23220) Patient*innen nach Erreichen des maximalen Stundenkontingents stützen und stabilisieren, um teure Krankenhausaufenthalte etc. zu vermeiden, werden für diesen Mehraufwand bestraft statt honoriert. Sieht so eine gute ambulante Versorgung aus?
Wie sollen wir in Zukunft mit unseren Patient*innen umgehen?
Keine psychotherapeutischen Gespräche nach Ablauf einer Therapie mehr, wenn unvorhergesehene Lebensereignisse einen Rückfall wahrscheinlicher machen? Keine psychotherapeutischen Gespräche, bis man mit einer Patientin/einem Patienten, die/der schwer erkrankt ist, alle Unterlagen zusammen hat, eine komplizierte Diagnostik abgeschlossen ist oder ambivalente Patient*innen sich endlich entschieden haben eine Therapie zu wagen? Keine Langzeittherapien mehr, weil der Beantragungsprozess nicht bezahlt wird?
Wenn es soweit kommt… ja, dann behandeln wir in Zukunft wirklich nur noch die klar strukturierten Patient*innen, die ihre EINE Diagnose bereits auf dem Silbertablett mitbringen.
Ganz ehrlich, das möchten wir nicht. Wir sind bereit, unseren Versorgungsauftrag nachzukommen.(2)
Wir fordern nicht viel. Aber wir fordern die Vertreterversammlung der KVN auf:
1. Sich den Kürzungen des Gesundheitsministeriums entgegenzustellen und einen wirklich gerechten Maßnahmen-Katalog auszuarbeiten und dem Ministerium vorzulegen.
und
2. Aus Fairness die Berufsgruppe der Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeut*innen von der Budgetierung der nichtgenehmigungspflichten Leistungen aufgrund mangelnder Kompensationsmöglichkeiten zu befreien.
Mit freundlichen Grüßen
Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VPP) im BDP e. V. – Regionalvertretung Niedersachsen – vertreten durch Dipl.-Psych. Claudia Rockstroh
Download: Hier finden Sie unsere Stellungnahme zum Download.
Quellen:
(1) Deutsches Ärzteblatt Ausgabe 4/2023, Seite 39
(2) https://bptk.de/pressemitteilungen/psychotherapeuten-arbeiten-ueberdurchschnittlich/
(3) Deutsches Ärzteblatt für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten 3/2023, Seite 103-106
(5) Infomail Niedersachsen des DPtV vom 01.06.2023