Neuerungen und Widersprüche im Krankenhaus
Für die in Krankenhäusern tätigen Psychotherapeuten wird die Verpflichtung zur Fortbildung zum 1. 1. 2013 neu geregelt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland hat seine schon bestehenden „Regelungen zur Fortbildung im Krankenhaus“ (FKH-R) überarbeitet (siehe www.g-ba.de). Bereits 2009 hatte der G-BA die bis dahin bestehende „Vereinbarung zur Fortbildung der Fachärzte im Krankenaus“ um die Berufsgruppen der Psychotherapeuten erweitert. Jetzt wurden vor allem Zeitraum und Umfang der Fortbildungsverpflichtungen sowie das Nachweisverfahren an die Regelungen der Psychotherapeutenkammern angepasst. Die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtungen ist gegenüber der ärztlichen Leitung nachzuweisen. Als Nachweis werden die Zertifikate der Psychotherapeutenkammern anerkannt.
Diese Regelungen zielen damit auf die Einhaltung des Facharztstandards, der auch für die Krankenhäuser vorgeschrieben ist und auch die Psychotherapeuten betrifft. Danach haben Patienten aufgrund der Übernahme der Behandlung durch das Krankenhaus einen Anspruch auf eine ärztliche Behandlung, die dem Stand eines erfahrenen Facharztes entspricht und können diesen einklagen (siehe u. a. www.vertragsarztrecht.net). Von einem erfahrenen Facharzt oder Psychotherapeuten wird erwartet, dass er in seinem Fachgebiet auf dem neuesten Stand ist und seine Behandlung den Leitlinien entsprechend durchführt. Nun hat im Krankenhaus grundsätzlich der Abteilungsarzt die Verantwortung für die Behandlung der Patienten in seiner Abteilung. Er hat aber dafür Sorge zu tragen, dass die notwendige fachliche Kompetenz seiner ärztlichen und psychotherapeutischen Mitarbeiter jederzeit gewährleistet ist und damit ihr selbständiger und eigenverantwortlicher Einsatz bei der Behandlung dem Facharztstandard entspricht. Es ist daher sehr sinnvoll, wenn in den Regelungen des G-BA gefordert wird, dass die ärztliche Leitung die Einhaltung der Fortbildungsverpflichtung zu überwachen hat. Es wird sogar gefordert, dass der Umfang der Fortbildungen der einzelnen Mitarbeiter im Qualitätsbericht der Krankenhäuser dokumentiert und damit veröffentlicht wird.
Psychotherapeuten in den Krankenhäusern sehen diese Regelungen mit sehr gemischten Gefühlen. Einerseits ist es gut und richtig, dass der G-BA von den Psychotherapeuten dieselben Qualitätsstandards einfordert wie von den Fachärzten und die Krankenhäuser verpflichtet, für deren Einhaltung zu sorgen und dies öffentlich zu dokumentieren. Es ist gut und richtig, wenn das Zertifikat der Psychotherapeutenkammern anerkannt wird, um diesen Qualitätsstandard nachzuweisen. Dies sind Schritte in Richtung einer neuen „Normalität“, indem die Psychotherapeuten im Krankenhaus den Fachärzten gleich gestellt werden. Dies steht jedoch in deutlichem Widerspruch zu anderen Bereichen:
„Bin ich eigentlich Psychotherapeut?“
Viele Kolleginnen und Kollegen fragen sich das: (siehe Artikel von Stecker 2011 unter www.vpp.org). In ihrem Arbeitsvertrag werden sie regelhaft immer noch als Diplom-Psychologen benannt, sie haben eine Stelle als Diplom-Psychologen. Dem entsprechend werden Psychotherapeuten in ihrem Gehalt nicht etwa eingestuft wie Fachärzte, sondern wie ihre psychologischen Kollegen ohne Approbation. Abgesehen von der zusätzlichen Kompetenz, die Psychotherapeuten durch ihre nachgewiesene Fachkunde mitbringen, kosten die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer und die Verpflichtung zur Fortbildung den Psychotherapeuten bares Geld. Dafür gibt es aber keinen finanziellen Ausgleich. In der Bundesfachkommission der Psychotherapeuten bei ver.di wird in jeder Sitzung gefordert, endlich über die Entgeltordnung zu verhandeln und Psychotherapeuten entsprechend den Fachärzten zu vergüten (Entgeltgruppe 15). Die Tarifkommission teilt diese Forderungen. Aber: Die Arbeitgeber weigern sich nach wie vor, mit ver.di über eine neue Entgeltordnung zu verhandeln. Dies betrifft zwar nur den Bereich des TVöD und damit die öffentlichen Arbeitgeber. Bei den privaten Arbeitgebern sieht es aber ähnlich aus, weil die sich in ihren Tarifverträgen an dem TVöD orientieren. Auf der anderen Seite ist die Berufsgruppe der Psychotherapeuten bei ver.di nicht gerade die Speerspitze in einen Arbeitskampf. Das sind eher die Berufsgruppen mit den niedrigeren Löhnen. Und die werden auch in der kommenden tariflichen Auseinandersetzung mehr Lohn fordern. Die Entgeltordnung wird auch in 2013 kein Thema der tariflichen Auseinandersetzung. Dies lässt erwarten, dass sich an dieser unhaltbaren Situation auf absehbare Zeit nichts ändern wird. Die Entwicklungen verlaufen leider im Schneckentempo.
Mit PEPP geht es weiter
Etwa zeitgleich mit den neuen Regelungen des G-BA wird im Bundestag über die neue Verordnung zum pauschalierenden Entgeltsystem in Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) verhandelt (siehe Stellungnahmen z. B. der BPtK unter www.bptk.de oder der GKV unter www.gkv-spitzenverband.de). Es ist geplant, dass sich die Finanzierung der Leistungen im Krankenhaus – anders als in der bisherigen Personalverordnung Psychiatrie (Psych-PV) – mehr an unterschiedlichen Diagnosegruppen orientiert. Die von Diagnosen unabhängige pauschale Vergütung über die Psych-PV soll damit endgültig abgelöst werden. Wir haben bereits über den neuen „Operationen und Prozeduren-Schlüssel (OPS)“ für die psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäuser berichtet und waren erfreut darüber, dass die Leistung von Psychotherapeuten in den Krankenhäusern künftig mit einem Zusatzentgelt vergütet wird (siehe Stecker 2010 unter www.vpp.org). Wir hatten aber auch kritisiert, dass diese Leistung definiert wird als Teil einer „therapiezielorientierten Behandlung durch ein multiprofessionelles Team“, die unter Leitung eines Facharztes zu erfolgen hat. Dies wird jetzt in den neuen Entwicklungen zur Krankenhausfinanzierung fortgeschrieben. Es wird noch ergänzt durch die neuen Kodierrichtlinien. Hier heißt es: „Die Auflistung der Diagnosen bzw. Prozeduren liegt in der Verantwortung des behandelnden Arztes.“ Natürlich ist auch hier zu fordern, dass ähnlich wie in den Regelungen des G-BA Fachärzte und Psychotherapeuten im gleichen Sinne angesprochen werden.
Diagnosen bestimmen das Handeln – und umgekehrt
Der aufnehmende Arzt im Krankenhaus wird zunächst mal von der Suizidalität eines Patienten oder von seiner wahnhaften Erlebnisverarbeitung beeindruckt. Dem entsprechend verleiht er dem Patienten das Etikett einer Depression oder einer Schizophrenen Störung. Diese Diagnosen bestimmen im Weiteren die „medikamentöse Einstellung“ des Patienten. Häufig wird erst im weiteren Verlauf gesehen, dass die anfangs beeindruckenden Störungsbilder im Zusammenhang stehen zu anderen Störungen wie z. B. eine ausgeprägte Zwangsstörung oder eine Persönlichkeitsstörung. Solche Diagnosen werden eher von Psychotherapeuten erfasst. Sie haben für die medikamentöse Behandlung in der Regel keine Relevanz und interessieren den Arzt weniger, wenn er seine Behandlung im Wesentlichen auf die Pharmakotherapie ausrichtet. Eine solch eingeschränkte Sichtweise in der ärztlichen Behandlung entspricht zwar nicht den Leitlinien, ist aber vielfach gängige Praxis. Sie ist u. a. der Tatsache geschuldet, dass die Behandlung in vielen Kliniken von Ärzten durchgeführt wird, die sich noch in der Ausbildung zum Facharzt befinden. Hier bestimmt die eingegrenzte Möglichkeit zum Handeln eindeutig das Erstellen einer Diagnose und damit über das PEPP auch die Finanzierung der Krankenhausleistung (siehe auch Bericht der BPtK zur Veranstaltung „Psychotisch kranke Menschen leitliniengerecht versorgen“ unter www.bptk.de). Psychotherapeuten könnten hier vor Ort auf den Stationen eine besondere Verantwortung wahrnehmen, wenn ihnen denn diese Verantwortung übergeben würde. Das ist zu fordern und sollte auch in den oben genannten Regelungen formuliert werden.
Hans-Werner Stecker