Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

115. Deutscher Ärztetag gegen Direktausbildung

Der 115. Deutsche Ärztetag hat folgende Stellungnahme zur Reform der Psychotherapieausbildung verabschiedet (Ärztetags-Drucksache Nr. VI- 06):

„Der 115. Deutsche Ärztetag 2012 fordert das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf, bei der geplanten Reform der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten (PP) und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP) auf die Direktausbildung zu verzichten. Stattdessen sollte die bewährte postgraduale Ausbildungsstruktur erhalten bleiben.“

Dieser Beschluss wurde wie folgt begründet:
„Das BMG erwägt derzeit die Einführung einer Direktausbildung zum PP und KJP. Diese soll die bewährte postgraduale Struktur der Ausbildung ersetzen. Ein ausreichender Kompetenzerwerb der PP und KJP in der Diagnostik und Behandlung von Schwerkranken im Rahmen einer Direktausbildung ohne Einbezug stationärer Behandlungssettings erscheint jedoch nicht möglich. Sinnvoller wäre es, den klinischen Teil der Ausbildung zu verbessern und eine Bezahlung der Auszubildenden durchzusetzen. Der Erhalt der so gestalteten postgradualen Struktur der Ausbildung ist für die Sicherung der hohen Versorgungsqualität unerlässlich.“
Mehrere Dinge sowohl an dem Beschluss als auch an der Begründung sind aus meiner Sicht besonders beachtenswert. Zunächst einmal sei festgehalten, dass der Deutsche Ärztetag tatsächlich sehr öffentlich von einer „bewährten postgradualen Ausbildungsstruktur“ und einer„qualitativ hochwertigen Versorgung“ [durch Psychotherapeuten] spricht, die es zu sichern gelte. Darüber hinaus spricht sich die Ärzteschaft dafür aus „den klinischen Teil der Ausbildung zu verbessern und eine Bezahlung durchzusetzen.“ Beides sind Zugeständnisse, die es ohne die aktuelle Diskussion um die sogenannte Direktausbildung wohl so schnell nicht gegeben hätte.
Warum wehrt sich der Ärztetag aber gegen eine Direktausbildung und überlässt diese fachlich-inhaltliche Diskussion nicht dem Berufsstand der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten: Meines Erachtens geht es für die Teilnehmer des Deutschen Ärztetages tatsächlich darum, eine Gleichstellung insbesondere in der stationären und teilstationären Arbeit zu verhindern. Dies betrifft insbesondere die tarifliche Eingruppierung von Psychologen sowohl nach dem Studium, vor allem aber nach dem Erwerb der Fachkunde, sowie die Möglichkeit leitende Funktionen in Kliniken (z. B. Oberarzt/Chefarztpositionen) zu übernehmen. Mit diesen beiden Punkten geht zusätzlich auch ein gewisses Maß an öffentlichem Ansehen und Akzeptanz der Berufe einher.
Während wir in diesen Feldern um eine Gleichstellung ringen, befürchten die ärztlichen Kollegen, dass das Feld der Psychotherapie von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten dominiert wird. Dies wird in einer weiteren Vorstandsüberweisung des Ärztetages deutlich (Ärztetags-Drucksache Nr. VI- 06). Hier fordert der Ärztetag den Vorstand der Bundesärztekammer zu „einer breit angelegten, medienwirksamen Kampagne auf, um auf die in der Ärzteschaft vorhandenen Kompetenzen bei psychosomatischen Erkrankungen hinzuweisen.“ Dies wird u. a. damit begründet, dass „[…] der Arztberuf in der Öffentlichkeit zunehmend seine Bedeutung verliert, wenn es um die Beurteilung psychischer Problematiken geht. […] ist es ein Fehler, diesen Teil der ärztlichen  Kompetenz „kampflos“ anderen Professionen zu überlassen.“ Neben Psychotherapeuten werden hier dann übrigens auch Seelsorger genannt.
Auch wenn man aufgrund der Befürchtungen des ärztlichen Berufsstandes durchaus in die Versuchung kommen könnte, unbedacht eine Direktausbildung zu fordern, ist es natürlich diskussionswürdig, ob man die Ausbildungsstruktur nur aufgrund einer dann leichter möglich erscheinenden Gleichstellung mit ärztlichen Kollegen an die medizinische  Ausbildungsstruktur anpassen möchte. Oder ob dies nicht auch auf anderem Wege zu erreichen ist.
Denn letztlich geht es darum bestmöglich Psychotherapeuten - und nicht bestmögliche Ärzte -  auszubilden. Und dafür könnte tatsächlich eine andere Struktur als die medizinische Ausbildungsstruktur notwendig sein, da andere Kompetenzen, Fähigkeiten und Haltungen (z.B. Gesprächsführungs­kompetenzen, Reflexionsfähigkeit, Empathie oder Abstinenz) erlernt bzw. entwickelt werden müssen. Natürlich ist auch fraglich, ob diese Fähigkeiten und Fertigkeiten in der jetzigen Struktur ausreichend erlernt werden, in der PiA in den eineinhalb Jahren praktische Tätigkeit in psychiatrischen Kliniken vermittelt bekommen, worauf sie keinen Anspruch haben (z. B. Vergütung) und was sie nicht dürften (z. B. streiken), obwohl sie in den meisten Fällen eine hohe Verantwortung tragen.
Ist allerdings ein praktisches Jahr im Studium eine sinnvolle Alternative? Denn eines macht der Beschluss des Ärztetages auch deutlich: Eine Approbation ohne ausreichend Praxis (und diese wird in der Ausbildung der Mediziner insbesondere durch das einjährige PJ vermittelt), wird von Seiten der Bundesärztekammer nicht unterstützt, ist wahrscheinlich innerhalb der Politik nur schwer zu umzusetzen und ist auch inhaltlich höchst fraglich. Auch wir, die Vertreter der Psychotherapeuten in Ausbildung, müssen hier die Diskussion vorantreiben und entscheiden, ob wir diese Kröte - ein Jahr Praktikum während des Studiums, anstelle einer praktischen Tätigkeit nach dem Studium - im Falle einer Direktausbildung schlucken würden um besser eine zumindest finanzielle Gleichstellung mit Assistenzärzten nach dem Studium zu erreichen?
Leider ist zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig offen, wie sich eine Weiterbildung im Anschluss an eine universitäre Approbation gestalten würde (z.B. Art und Umfang einer „Assistenzpsychotherapeutenzeit“, verfahrensspezifische oder störungsspezifische Weiterbildungen, etc.). Vorteilhaft könnte dabei sein, dass diese dann zumindest in der Hand der eigenen Profession läge, wobei dies bei der hohen Diskussionsfreude und den vielen unterschiedlichen Positionen im Berufsstand auch ein Nachteil sein könnte.
Bei all diesen ungeklärten und unvorhersehbaren Fragen, kann ich persönlich zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass meine Bedenken zur inhaltlichen Qualität der gesamten Ausbildung bei einer Direktausbildung – in den Modellen wie sie derzeit diskutiert werden – überwiegen,  wenngleich ich mir an vielen Stellen eine Veränderung der jetzigen Ausbildungssituation wünsche und auch dafür arbeite. Dennoch halte ich viele Ausbildungsbestandteile (Theorieseminare, Selbsterfahrung und die praktische Ausbildung unter Supervision) sowie die derzeit im Studium erworbenen Kompetenzen, für qualitativ sehr hochwertig, so dass sich aus meiner Sicht auch unsere ärztlichen Kollegen an einigen Stellen eine Scheibe davon abschneiden könnten.

Robin Siegel
PiA-Sprecher im VPP/BDP