Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

„Weiterbildung - Tor in die Versorgung?“

Kommentar der BPtK-Meldung zur ambulanten neuropsychologischen Therapie

Am 24. November 2011 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), dass die gesetzliche Krankenversicherung künftig auch die Kosten für eine ambulante neuropsychologische Therapie übernehmen wird. Veröffentlicht wurde die Meldung unter dem vielversprechenden Titel:   „Ambulante neuropsychologische Therapie künftig GKV-Leistung – Qualifikation entsprechend der Muster-Weiterbildungsordnung der BPtK erforderlich.“
Dazu stellt in einem ersten Schritt ein Neurologe oder Psychiater eine hirnorganische Erkrankung oder Schädigung fest, welche die Ursache der organisch bedingten psychischen Störung ist. Die Indikation für die neuropsychologische Therapie erfolgt danach auf der Basis einer umfassenden neuropsychologischen Diagnostik. Diese Diagnostik, Indikationsstellung und die darauf aufsetzende Behandlung kann von Psychotherapeuten, Psychiatern oder Neurologen erbracht werden, die neben der Fachkunde in einem Psychotherapieverfahren der Psychotherapie-Richtlinie insbesondere auch über eine Qualifikation entsprechend dem Bereich Klinische Neuropsychologie der Musterweiterbildungsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) verfügen.

 Meldung stiftet Verwirrung in der Weiterbildungsdiskussion

Allerdings ist die Meldung der BPtK bei flüchtiger Kenntnisnahme geeignet, das Missverständnis  zu befördern, eine kammerrechtliche Weiterbildung in Neuropsychologie allein führe zur Abrechnungsgenehmigung neuropsychologscher Leistungen. Es fehlt in dem Aufmacher der Hinweis, dass die Abrechnung von Leistungen, die Gegenstand der Weiterbildung sind, nicht allen Psychotherapeuten offensteht. Und es fehlt der Hinweis, dass die Weiterbildung nach Kammerrecht nur eine Voraussetzung zur Erbringung neuropsychologischer Leistungen ist. Erst im zweiten Absatz der Meldung wird bei genauerem Lesen klar, dass als weitere Grundvoraussetzung der Psychotherapeut eine Fachkunde in einem der Richtlinienverfahren nachweisen muss. Nur dieser Personenkreis kann nach einer Weiterbildung in Neuropsychologie ambulant erbrachte neuropsychologische Leistungen abrechnen.

Für Kollegen ohne Richtlinien-Qualifikation ist nichts gewonnen

Psychotherapeuten, die ihre Qualifikation mittels anderer Ausbildungsverfahren wie beispielsweise Gesprächspsychotherapie oder Systemische Therapie erworben haben, die nicht zugleich Richtlinienverfahren sind, wären zwar formal berechtigt,  eine Weiterbildung in Neuropsychologie zu absolvieren. Das  bliebe für ihre Berufsausübung aber ohne Bedeutung, weil es ihnen an der Fachkunde in einem der Richtlinienverfahren mangelt.

„Summa summarum: Die mit der BPtK-Meldung nahegelegte Bedeutung hat die kammerrechtliche Weiterbildung jedenfalls nicht.“

Insofern ist die BPtK-Meldung geeignet, die in der Profession sehr kontrovers geführte Diskussion, ob Weiterbildung eine dem Beruf adäquate Qualifizierungsform ist und welchen Nutzen eine Weiterbildung für die Berufsausübung haben könnte, zugunsten der Erweiterung der Weiterbildungsordnung auch um Ausbildungsverfahren zu beeinflussen.
Aus Patientensicht bedeutet der Beschluss des G-BA, dass Patienten nicht länger gezwungen sind, für die benötigte Behandlung stationären Aufenthalt zu nehmen. Ob es aber eine nennenswerte, also eine versorgungsrelevante Zahl von Richtlinien-Therapeuten geben wird, die bereit sind, eine 2-jährige Weiterbildung in Neuropsychologie zu absolvieren, in der sie ihre Praxis für Richtlinientherapie ganz erheblich reduzieren müssten, muss bezweifelt werden. Denn eine solche Weiterbildung hätte eine nur geringe Bedeutung für deren Berufsausübung.

Zwei Jahre Vollzeitausbildung sind nur für die wenigsten Kollegen sinnvoll

Schließlich ist es kein Grund für Fanfarenstöße, wenn 13 Jahre nach Inkrafttreten des PsychThG für die nach Kammerrecht qualifizierten Neuropsychologen das Delegationsverfahren wieder Bedeutung erlangt. Jedenfalls ist vorgegeben, dass “in einem ersten Schritt in der Regel ein Neurologe oder Psychiater eine hirnorganische Erkrankung oder Schädigung feststellt“, bevor der zur Neuropsychologie qualifizierte Psychotherapeut neuropsychologische Diagnostik und Therapie durchführen darf.

Karl-Otto Hentze, Psychotherapeut, Köln
Veröffentlicht in VPP aktuell Juni 2012