Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

GVWG – ein Gesetzgebungsprozess, wie er nicht sein sollte

Am 11.06.2021 wurde das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) vom Deutschen Bundestag beschlossen und wartet nun auf seine Befassung im Bundestag. Eine Zusammenfassung und Kommentierung von Johanna Thünker.

Der Entwurf für das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz wurde im Februar 2021 vorgelegt und hatte das Ziel, weitreichende Verbesserungen bezüglich Qualität und Transparenz „durch verschiedene Maßnahmen zu steigern“, und zwar sowohl für gesetzlich als auch für privat Krankenversicherte. Also eine „eierlegende Wollmilchsau“, die in gewohnter Spahn-Manier mit hohem Tempo, in diesem Fall nicht durch das Dorf, sondern durch den Deutschen Bundestag getrieben werden sollte.

Die Rechnung hatte Minister Jens Spahn aber wohl ohne die Abgeordneten gemacht. Nachdem der von der Regierung abgestimmte Gesetzentwurf von immerhin 150 Seiten vorlag, hagelte es zahlreiche Änderungsanträge – spannenderweise nicht ausschließlich von der Opposition, sondern auch aus den Regierungsfraktionen. Und das ohne Abstimmung mit Expertinnen und Experten aus dem Berufsstand und zum Teil auch ohne Beratung im Gesundheitsausschuss.

Für den Bereich Psychotherapie betrifft das Gesetz insbesondere zwei Bereiche: Die sogenannte „Rasterpsychotherapie“ sowie Änderungen, die die Vergütung der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung betreffen. Einige kleinere und eher unkritischeren Änderungen wurden ebenfalls beschlossen, wie beispielsweise, dass die Probatorik während eines Krankenhausaufenthaltes nun auch in der eigenen Praxis erfolgen kann.

Rasterpsychotherapie

Unter dem Stichwort „Rasterpsychotherapie“ verbirgt sich ein Änderungsantrag aus Reihen der Regierungsfraktionen, der eine Änderung in § 92 Absatz 6s SGB V vorgesehen und dem Gemeinsamen Bundesausschuss den Auftrag erteilt hätte, „psychotherapeutische Versorgung dahingehend zu überprüfen, dass die Behandlung der psychisch kranken Versicherten orientiert am Schweregrad der Erkrankung bedarfsgerecht sichergestellt wird.“ Das hätte einen elementaren Eingriff in die Therapiehoheit von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bedeuten können, beispielsweise dadurch, dass abhängig von Diagnosen und Schweregraden Therapiekontingente festgeschrieben worden wären. Ein Vorgehen, was aus der Medizin nicht unbekannt, für psychische Störungen aber mehr als unangebracht ist.

Der Berufsstand lief Sturm. Die Bundespsychotherapeutenkammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung veröffentlichten Pressemitteilungen und Stellungnahmen. Die Kammer organisierte eine Mailingaktion der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten an die Abgeordneten. Und auch der BDP wandte sich mit einem Schreiben an die Abgeordneten des Gesundheitsausschusses und mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit. 

Die Resonanz blieb nicht aus. Auch aus Reihen der SPD, die am Änderungsantrag beteiligt war, distanzierte man sich schnell öffentlich von dem Vorhaben. Das Büro der CSU-Abgeordneten und Berichterstatterin für Psychotherapie Emmi Zeulner teilte mit: „Wir als CSU werden den vom Bundesgesundheitsministerium vorgeschlagenen Antrag zur sogenannten Einführung der „Rastertherapie“ in der Psychotherapie nicht mittragen. Denn letztlich würden feste Behandlungsschemata zu weniger Flexibilität bei der Therapie und damit zu einem Eingriff in die Therapiehoheit des Psychotherapeuten führen. Dabei haben wir bereits hohe Standards durch die Psychotherapie-Richtlinie, die erst vor Kurzem angepasst wurde. Psychische Krankheitsbilder können derart komplex sein und abhängig von der individuellen Situation der Betroffenen, dass der vorliegende Änderungsantrag aus Sicht der CSU dem eigentlichen Ziel entgegensteht, nämlich die bestmögliche Unterstützung von Menschen in schwierigen und belastenden Lebenslagen.“ Auch Abgeordnete der Grünen, der Linken sowie der FDP reagierten auf unser Schreiben und kritisierten das Vorhaben zum Teil scharf.

Schließlich gab Jens Spahn dem Druck nach und zog den Änderungsantrag zurück (Pressemitteilung der BPtK), mit dem neuen Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz wurde keine Rasterpsychotherapie eingeführt, aber man munkelt, dass das Thema hinter verschlossenen Türen noch nicht „vom Tisch“ sei.

Vergütung der PiA (§ 117c)

Am 23.04.2021 wurde von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein Änderungsantrag eingebracht, der als „Änderungsantrag 28“ kursierte und Änderungen zur ambulanten Ausbildung für PiA vorsah – ein Aspekt, der im Gesetzentwurf bis dahin keine Rolle spielte. Der Antrag war weder mit Expertinnen und Experten aus dem Berufsstand rückgekoppelt, noch online verfügbar, noch tauchte er auf der Tagesordnung des Gesundheitsausschusses auf, der Anfang Juni tagte. Da wir gut vernetzt sind, bekamen wir dennoch davon Wind und wandten uns ebenso wie das PiA-Politik-Treffen, die BAG der Institute und weitere Akteuerinnen und Akteure kurzfristig mit einem Schreiben an die Abgeordneten.

Der Änderungsantrag sah vor, dass in § 117 Absatz 3c SGB V die Ambulanzen verpflichtet sind, von der Vergütung, die sie von den Krankenkassen für die durch einen Aus- oder Weiterbildungsteilnehmenden erbrachte Leistung erhalten, jeweils einen Anteil von mindestens 40 Prozent an diesen weiterleiten. Ferner sollten Ausbildungskosten und Vergütungsanteile gegenüber der Bundespsychotherapeutenkammer offengelegt werden. Also eine Festschreibung des Ist-Standes, bei dem allerdings die Formulierung der „angemessenen Vergütung“ wegfiel (und laut Aussagen der BAG dafür hätte sorgen können, dass die Institute eine schlechtere Verhandlungsgrundlage mit den Krankenkassen haben) sowie eine Konfundierung der Ausbildung nach dem alten und der Weiterbildung nach dem neuen System.

Nachdem der Änderungsantrag zunächst von der Bildfläche verschwand, wurde ein entsprechender Paragraf im GVWG dann wohl doch beschlossen (Artikel 1, § 31d GVWG). Das PiA-Politik-Treffen konnte zumindest erreichen, dass von „Auszahlung“ statt „Weiterleitung“ die Rede ist, und auch die Institute zeigen sich aufgrund einer Anpassung zufriedener – die Formulierung „angemessene Vergütung“ ist aber tatsächlich weggestrichen worden! Wie sich diese Regelung – die Billigung des Bundesrates vorausgesetzt – in der Praxis für PiA und PiW auswirkt, wird sich zeigen. Es wird umso deutlicher, dass Nachbesserungen am Psychotherapieausbildungsreformgesetz dringend nötig sind (zu unserer Stellungnahme).

Tempo vor Qualität und Transparenz

Dieses Gesetzgebungsverfahren ist ein weiteres, bedauerliches Beispiel für die Arbeitsweise unseres Bundesgesundheitsministers, für den Tempo die höchste Prämisse zu sein scheint. Psychotherapie läuft bei ihm unter ferner liefen. Während für andere Bereiche des GVWG wie Pflege, Palliativversorgung und Krebsberatungsstellen zumindest ein gewisser Zeitraum da war, um Stellung zu nehmen, und Expertinnen und Experten angehört wurden, versuchte man erneut, die Psychotherapiethemen „mal eben“ mit zu bearbeiten.

Das Vorgehen war dabei nicht nur qualitativ minderwertig, was man spätestens bei der Vermischung von Aus- und Weiterbildung sieht, sondern maximal intransparent. So wurde der Änderungsantrag 28 zwar nicht offen kommuniziert, aber dennoch beschlossen. Gut, dass der Minister dabei die Rechnung ohne den Berufsstand gemacht hat, der gut vernetzt dennoch reagierte und zumindest Teilerfolge erreichen konnte.

Transparent geworden ist nur eines: An der psychischen Gesundheit der Menschen soll gespart werden! Es bleibt zu hoffen, dass der nächste Gesundheitsminister oder die nächste Gesundheitsministerin die Gesundheit der Menschen wirklich am Herzen liegt und er oder sie diese Themen mit mehr Weitsicht und der notwendigen Sorgfalt angeht.

Dr. Johanna Thünker