Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Symposium „ADHS im Leben“ am 22. und 23.April 2023

Am 22/23. April 2023 fand in Kassel ein Symposium zum Thema „ADHS im Leben“ statt. Veranstalter war ADHS-Deutschland e.V., ein Verein, in dem neben Angehörigen und Betroffenen auch zahlreiche Fachleute organisiert sind. Es nahmen über 400 Personen teil, im Rahmen des Symposiums wurde auch die Mitgliederversammlung mit Vorstandswahlen durchgeführt.

Parallel zum Symposium mit insgesamt sechs Fachvorträgen für Erwachsene fand das Kinder- und Jugendsymposium statt. In drei Altersgruppen trafen sich dort unter Anleitung geschulter Jugendbetreuer:innen und Fachleuten Kinder und Jugendliche, um sich auszutauschen, gemeinsam aktiv zu werden und in verschiedenen Workshops Themen zu erarbeiten. Auf dem Programm für die Jugendlichen stand in diesem Jahr unter anderem Mediengebrauch und Cybermobbing sowie Medikamente bei ADHS.

Eröffnet wurde die Veranstaltung durch den alten wie neuen Vorsitzenden Hartmut Gartzke, Geschäftsführerin Dr. Miryam Bea führte routiniert und strukturiert durch das Programm, sodass trotz sehr gemischter und lebhafter Zielgruppe der Zeitplan eingehalten werden konnte.

Historie von ADHS im Erwachsenenalter

Prof. Dr. Martin Ohlmeier, Direktor der Psychiatrischen Klinik in Kassel, erinnerte in seinem Vortrag noch einmal an die Historie der Diagnose ADHS. Für Kinder und Jugendliche seit den 1980ern anerkannt, wurde sie bis Anfang der 2000er für Erwachsene auch in der Fachwelt noch geleugnet, offizielle Lehrmeinung war, dass es ADHS nur bei Kindern und Jugendlichen gab. 2001 befasst sich erstmals die DGPPN auf ihrem Kongress mit der Frage „Wenn der Zappelphilipp erwachsen wird?“. Von Seiten des Bundesministeriums für Gesundheit ließ sich damals verlauten, dass es wohl keine Modeerscheinung sei, es wurde aber vor einer zu unkritischen Verordnung von Ritalin gewarnt.

Neurodiversität und Kreativität

Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz, ebenfalls Psychiaterin, hielt einen lebhaften Vortrag über Neurodiversität bei ADHS und erläuterte anschaulich und dennoch nicht oberflächlich, wo und wie Menschen mit ADHS anders wahrnehmen, denken und handeln, welche Herausforderungen und Probleme dies mit sich bringt und welche Vorteile. Ein Zitat aus dem Vortrag lautete: „Jede Firma braucht ADHS-er – nur nicht zu viele“. Dem stimmte Prof. Dr. Martin Ohlmeier zu, der ausführlich über den Aspekt der Kreativität bei ADHS zu berichten wusste. Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz, die auch dem Vorstand von ADHS-Deutschland angehörte, stellte sich im Anschluss den vielen Fragen aus dem Publikum und räumte dabei auch ein, dass bei ADS vom hypoaktiven Typus vieles schwieriger ist. Gerade hier empfiehlt sie eine leitliniengerechte medikamentöse Behandlung.

Medikation bei ADHS?!

Prof. Dr. Marcel Romanos, ebenfalls Vorstandsmitglied von ADHS-Deutschland hatte einen strengen Zeitplan an dem Wochenende. So stellte er sich doch in zwei Workshops den vielen Fragen der Kinder und Jugendlichen und hielt ebenfalls einen Vortrag im Symposium für Erwachsene. Er hatte eine Reihe Studienergebnisse im Gepäck, die er in einfacher Sprache und ungeschönt vorstellte. Dabei wurde deutlich: Ja, Psychotherapie wirkt. Aber nicht auf die Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, sondern auf die zahlreichen Begleitsymptome und auf die Lebensqualität. Bei Medikamenten ist es gerade umgekehrt, darum sei es wichtig, welche Behandlung wo für eingesetzt wird. Spannend waren die Studiendaten zu Stimulanzientherapie und Suizidalität: ja, sie findet häufiger statt bei suizidalen Patient:innen, allerdings zeigten zeitlich hochauflösende Daten, dass sie in der Regel während/nach suizidalen Krisen angesetzt wurden. Auch Dr. Romanos stellte sich den Fragen des Plenums und verwies sehr deutlich auf die Stellungnahme von ADHS-Deutschland sowie der DGKJP in Sachen Cannabisgebrauch bei ADHS.

ADHS in Schule und Beruf

Weitere spannende Vorträge aus der Praxis wurden durch Dr. Edith Wölfl, pensionierte Schulleiterin an einer Sonderschule und Dr. Heiner Lachenmeier gehalten. Dr. Wölfl berichtete dabei nicht nur von vielen Erfolgen, die sie durch persönlichen Einsatz und Lehrkonzepte, die auf die Bedürfnisse der Schüler:innen ausgerichtet waren, erreichen konnte, sondern stellte auch kritisch in Frage, ob eine freundliche Umschreibung wie „verhaltensoriginelle Schüler“ der Sache wirklich dient. Sie machte deutlich: „ADHS ist eine Behinderung“ (zumindest ab einer gewissen Ausprägung) und muss rechtlich wie sozial als solche behandelt werden – eben auch mit Hilfen zur Teilhabe. Dr. Heiner Lachenmeier outete sich selbst als Betroffener und gab konkrete Tipps, wie vor dem Hintergrund der ADHS-spezifischen Eigenheiten Kommunikation und Interaktion am Arbeitsplatz doch noch gelingen kann und wie wichtig es ist, gerade bei Erschöpfungsdepressionen genau hinzuschauen, ob nicht doch ein ADHS ursächlich gewesen sein könnte.

Fazit

Die konstruktive, lebendige Veranstaltung, an deren Rande viele Kontakte geknüpft wurden auf professioneller wie persönlicher Ebene fand in dem Spannungsfeld statt, ob man ADHS nun als „Krankheit“ ansehen wolle, oder doch als „neurobiologische Sonderedition“. Dies darf wohl jede/jeder Betroffene für sich selbst entscheiden. Als Psychologin habe ich gelernt, noch genauer hinzuschauen, denn die Rate der diagnostizierten ADHS-Syndrome liegt gerade bei erwachsenen Frauen nach wie vor weit unter der vermuteten Prävalenz (www.adhd-woman.eu). Für alle, die jetzt neugierig geworden sind, empfiehlt sich die Website von ADHS-Deutschland, die viele spannende Informationen enthalt, die im praktischen Alltag auch an die verschiedenen Gruppen wie Eltern, Lehrkräfte, Betroffene weitergegeben werden können.

Johanna Thünker